michaelthurm

november

Der November begann mit einer Volksabstimmung, die nicht stattfinden sollte. Das hätte man bei all dem Nebel, der diesen Monat über Mitteleuropa waberte, fast vergessen kÖnnen. Wie war das gleich? Die Griechen wollen eine Volksabstimmung, weil der deutsche Aktienindex fünf Prozentpunkte verliert? Und dann trifft man sich in Cannes, wo sonst immer Goldene Palmen verschenkt werden, um eine LÖsung zu finden. So ähnlich muss es irgendwie gewesen sein. Irgendwie hat auch noch Angela Merkel mitgespielt und irgendwann auch Thomas Gottschalk. Ich hab nur vergessen, was der mit Demokratie zu tun hatte. Nicht schlimm.
Papandreou war dann weg. Berlusconi auch. Und aus den RauchwÖlkchen der Zeitgeschichte, die beide durch ihren Abgang verursacht haben, steigen die neuen Männer der Gewissenhaftigkeit hervor. Die haben es angeblich voll drauf und mit Sicherheit gibt es keine Weibergeschichten.
Diese beschäftigen allerdings gerade die Schweizer Politik: Dort wurde zwar gewählt, aber keiner wusste so genau, wer nun wie viele Sitze in der Regierung bekommen soll. Und wer denn auf diesen Sitzen sitzen sollte. Der Zauber der gleichnamigen Formel war im ersten Frost des Winters erfroren. Deshalb sorgte der Parteipräsident des Grün-Liberalen Wahlsiegers für menschliche Wärme, indem er eine Frau heiratete, die, wie soll ich sagen, na, also sie hätte auch ganz gut an die Seite von Berlusconi gepasst. Das ist gar nicht frauenfeindlich und noch weniger schweizerfeindlich gemeint.

Wahrscheinlich bräuchte es in der hiesigen Politik wieder ein bisschen mehr Liebe.

In Österreich wurde auch gewählt, aber nur der Neugebauer. KÖnig der Beamten. Warum muss der eigentlich gewählt werden? Dem Schüssel geht es da besser. Der hat festgelegt nur noch außenpolitische Interviews zu geben, damit er mit diesem ganzen innenpolitischen Musikantenstadl nichts mehr zu tun haben muss, der sich da unter seiner Regierung eine Gaudi gemacht hat vor Freude über so viel Privatisierung und so viel Geld. Dass dann ausgerechnet die Journalisten des knallhart kritischen und investigativen profils sich davon einnebeln lassen und sich dieser schüsselschen Bedingung unterwerfen, ist mir etwas zu dreist, um es noch lustig zu finden. Die profilisten sind damit ja ebenso unanständig, wie die Politiker, denen sie das immer vorwerfen und zu denen auch Wolfgang Schüssel gehÖrt. Ich weiß, für viele Österreicher ist der eloquente Herr Doktor mit dem Mascherl noch immer eine Instanz und vielleicht wäre er es, wenn er denn soviel GrÖße hätte, sich den harmlosen Fragen, aber wenigstens nicht abgesprochenen Fragen von Journalisten zu stellen. In diesem Punkt haben Schüssel und Elfriede Jelinek also mehr gemeinsam als den beiden lieb sein wird: Sie halten ihre Öffentliche Rolle hauptsächlich für ein Privileg und verfahren mit der Öffentlichkeit wie es beliebt, statt in ihrer Exponiertheit als Ex-Kanzler (und diese unanständige Bezeichnung hat er verdient) bzw. als Nobelpreisträgerin eine Verantwortung zu sehen. Deshalb werden Sie wohl von beiden kein Interview lesen kÖnnen. Zumindest nicht hier. Wahrscheinlich bräuchte es in der hiesigen Politik wieder ein bisschen mehr Liebe. So wie in der Schweiz oder in Deutschland. Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Da musst ich mir gleich die Bunte kaufen, wegen der schmutzig-sozialistischen Details, die man dort mit sicherer Zuverlässigkeit geliefert bekommt. (Ãœber das »h« in Sahrahs Namen gibt es eine ganz rührende Geschichte, die von der Süddeutschen Zeitung verÖffentlich wurde. Für was man dort alles Platz hat.)
Schwarz statt Rot vor Augen wurde mir dann in der Wiener Albertina; so ein bisschen Kultur zur Erholung dachte ich, kann nicht schaden, aber nix da. René Magritte wird zum Publikumsrenner und das Publikum rennt durch die Galerie, die über und über mit Bildern behängt ist und ich renne hinterher, nur um schnell wieder an die frische Luft zu kommen. Obwohl man von frischer Luft in Wien nicht wirklich reden kann. Schlecht war die Novemberluft auch in Deutschland. Geradezu stickig wurde es, als der braune Moder aus einem verbrannten Wohnmobil aufstieg. Da musste der vergangenheitsbewältigte Deutsche feststellen, dass Nazis eben nicht nur mit Springerstiefeln zutreten, sondern auch schießen kÖnnen. Gut, nun darf man natürlich nicht wegen dreier Terroristen eine ganze Gesinnung in Geiselhaft nehmen. Erst recht nicht diejenigen, die für ihre Gesinnung mit Steuergeld bezahlt wurden und werden, und das scheinen im Falle des deutschen Verfassungsschutzes dann doch eine ganze Menge zu sein. Oder werden die jetzt alle, wie unlängst der norwegische Attentäter (auch bekannt als »Der InselmÖrder«) für unzurechnungsfähig erklärt. Krude genug wäre das Weltbild sicherlich. Deshalb: NPD verbieten, aus den Augen aus dem Sinn, und damit aus dem Hirn, das ja eh schon einem etwas beschränkten Dasein fristet. Zum Jahresrückblick wird dann nochmals, im festlichen Ambiente unserer deutschen Fernsehstudios, an die „DÖnermorde“ erinnert. Als ob man versucht mit dieser Bezeichnung den Morden auch noch gerecht zu werden. Warum eigentlich nicht Knoblauchmorde? Gab es dazu nicht irgendwo einen Leitantrag auf den zahlreichen Parteitagen, die in den letzten Tagen tagten? Ach nein, die NPD hatte ja keinen Parteitag, die hat nur YouTube-Videos und Pink-Panther-Dvds. Bin ich als Pink-Panther-Freund jetzt eigentlich schon mitverdächtig? Oder zumindest rechtsradikal? Aber ich wollte endlich das Thema wechseln – immer diese Vergangenheitsversessenheit – also Parteitage aller Farben, vereinigt euch unter dem Buzz-Word: Zukunft! In diese wollen wir schauen, egal mit welcher Koalition. Denn die Macht ist seit Erfindung der Demokratie das legitime Mittel die Welt zu ändern. Alles wird besser. Nicht gut. Aus.
Ausverkauft werden auch weiterhin Staatsanleihen. Selbst Deutschland muss inzwischen 2,25 Prozent auf zehnjährige Staatsanleihen zahlen, damit sie verkauft werden. Aber dafür, dass die Kacke in den Staatshaushalten angeblich so am dampfen ist, gelingt es unseren Politikdarstellern noch ganz gut jede Auswirkung auf das tägliche Leben zu verhindern. Ich kann trotz ausgiebigen Konsums kaum eine PreiserhÖhung feststellen. Gut, die Inflation ist mit drei Prozent etwas hÖher, als sie, wie uns Jahrzehnte lang erklärt wurde, zu sein hätte. Aber auch das ist wahrscheinlich nur noch Teil einer gigantischen Krisenblase, denn auch die Inflationsblase wird platzen. Irgendwann. Die Frage ist nicht einmal, was vorher alles zu Bruch geht. Denn danach geht es zurück zum Tagesgeschäft, also dorthin, wo wir eh schon immer sind. Nämlich in die Ignoranz. Noch wird regelmäßig gefragt, wer denn Millionär wird und die Firma wüstenrot schmeißt in Koalition mit einer unterirdischen – weil U-Bahn – Zeitung, eine absolut seriÖse Pensionsversicherung auf den Markt. Also genau auf diesen aufgeregten Markt, den alle zu beruhigen versuchen. In diesem Fall also mit einem „iPhone 4S gratis und vertragsfrei für nur 99 Euro Private Vorsorge im Monat.“ Yeahhhh! Diese Versicherer und Gratiszeitungs-Produzenten trauen sich dann auch noch eine hundertprozentige (100%!!!) Kapitalgarantie zu versprechen. Man darf den Vertrag nur nicht innerhalb von fünf Jahren kündigen, sonst wird das iPhone in Rechnung gestellt.
Na, Krise. Noch Fragen?

„Her mit dem Zaster, her mit der Marie!“

Mit solchen Ideen sollte die heitere Bundesregierung Österreichs mal aufwarten. Nicht mit ihrer Schuldenbremse, von der ich schon wieder vergessen habe, wie viel Prozent nun zur Messlatte für die Budget-Tricksereien werden. Und davon, dass zu Monatsbeginn die „Großbanken in Ketten“ gelegt wurden – so bewertete die Kleine Zeitung das Ergebnis des G20-Gipfels – merke ich auch noch nichts. Mag an mir liegen. Oder am Wetter. Da lob ich mir die Innenministerin, die endlich klare Worte fand und mit zarter niederÖsterreichischer Stimme schrie: „Her mit dem Zaster, her mit der Marie!“ Gut, man muss das nachsehen, die Frau war im Wahlkampf – wenn auch als einzige Kandidatin. Es ging um irgend so ein Amt, in irgend so einer Unterorganisation, von irgend so einer Partei, aus irgend so einem Land – nein, aus Österreich! Na, zumindest da behalte ich den Ãœberblick. Das gelingt mir sonst nur noch beim Kinoprogramm, aber auch da lohnt es sich nicht. Twilight war, aber das ist mir wurscht. Gesehen habe ich Lars von Triers Melancholia und wahrscheinlich hätte ich auch seine typische Wackelkamera ignorieren kÖnnen, wenn nicht das Schubert Kino in Graz (ich diffamiere!) jeden Rest von Kinogenuss ruiniert hätte. Einen Film bei offener Tür und heiterem Sesselrücken zu starten und dann auch noch vor Ende des Abspanns abzuschalten, macht die Entscheidung für einen neuen Beamer zu Weihnachten deutlich einfacher. Den Planeten Melancholia lass ich dann nochmals in Ruhe auf mein heimeliges Bett krachen. Denn der Film lohnt sich, nur das Kino nicht. [1. Inzwischen bin ich mit einem Kino-Gutschein wieder versÖhnt, den ich für „Der Gott des Gemetzels“ investieren werde. ]
Gelohnt hat sich auch der Arabische Frühling. Auf jeden Fall für Karim El-Gawhary, den betroffensten Journalisten, den ich je so objektiv habe die Welt erklären sehen. Ist das noch ein deutscher Satz? Wenn nicht, ist es wohl auch egal. In dieser nebulÖsen und schnellen Zeit verliert sich so ein Grammatikfehler recht schnell. Das Internet vergisst nichts. Nichts außer Rechtschreibfehlern. Also er, El-Gawhary, hat mir noch immer nicht genau erklären kÖnnen, was da nun los ist und warum noch immer demonstriert wird. Mubarak war doch weg vom Fenster und die Demokratie sollte sich feiern lassen. Aber sie kam nicht. Trotz Bitten und westeuropäischer HD-Fernsehkameras. Alles nicht so leicht, vielleicht ist es da unten auch etwas nebliger im November. Die Wahl, die geht auf jeden Fall noch weiter. Nächsten Monat. Damit hat sie wiederum eine schÖne Gemeinsamkeit mit der Krise: Es geht immer weiter.
Ein Ende hat dafür hoffentlich bald diese Trockenheit. Dürre, mÖchte man es heißen, beim Anblick der letzten Pfützen im Glühweintopf. Aber egal wie schlimm der nächste Monat wird, mit Glühwein werden wir es überstehen.

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