michaelthurm

Zu viel Ehre für einen Terroristen

Anders Breivik hat nichts auf der Bühne des Grazer Schauspielhauses zu suchen. Nicht einmal, wenn es nur ein oder zwei zitierte Sätze sind. Nicht einmal, wenn diese zu einer frühen Fassung von Henrik Ibsens „Nora“ passen, die zuletzt am Schauspielhaus Premiere hatte. Es ist genug der Ehre, wenn sich die Medienlandschaft missbrauchen lässt und Bilder und Texte des Attentäters von Norwegen, der 77 Menschen ums Leben gebracht hat, auf ihren Titelseiten stilisiert.
Das Grazer Schauspielhaus muss nicht auch noch dessen krudes Pamphlet „2083“ in eine scheinbar harmlose Inszenierung einbauen. Das ist weder eine Auseinandersetzung mit Breivik noch mit jenen sozialdarwinistischen Thesen, die sowohl von Henrik Ibsen als auch von dem gerade vor Gericht stehenden Irren vertreten werden. Das ist auch kein „Spiel mit der Provokation“. Das ist einfach dumm. Denn die Verwendung dieser wenigen Sätze, deren Autorenschaft man während des Stückes nicht einmal erkennt, ruinieren – wenn man den Hinweis im Programmhaft findet – alles, was an „Nora oder ein Puppenhaus“ hätte gut sein kÖnnen.
Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn moderne Text eingebaut werden. es ist auch nichts gegen eine Neudeutung Henrik Ibsens zu sagen, durch die das Stück eher zu einer Kritik der LebvensÖkonomisierung als des Patriarchats wird. Nein, das alles gelingt gut und treffend und vor allem dank eines bestechenden Gerhard Liebmann (bekannt aus »Lourdes« und »Atmen«), der die Rolle des Nils Krogstadt zur heimlichen Hauptfigur des Stückes macht. Krogstadt ist der traurige Held, der versucht seine kleinen Geheimnisse gegen die Mechanismen der großen Macht einzusetzen. Die Auszüge, die Liebmann aus Heiner Müllers „Der Auftrag“ spricht, kÖnnten großes politisches Theater sein. Aber aus irgendeinem Grund hat Regisseur Wojtek Klemm beschlossen, doch noch dem alten Ibsen seinen Platz zu lassen und „Nora“ in den Mittelpunkt seines Dramas, denn genau das ist es im Wesentlichen, zu stellen. Evi Kehrstephan überzeugt in ihrer Rolle als sich emanzipierende Ehefrau, die zur Selbstbestimmung findet; nur die Rolle überzeugt in einer längst emanzipierten Gesellschaft nicht mehr. Und so gibt es an diesem Abend nur einen Sieger und der heißt Anders Behring Breivik. Er hat es geschafft, sich nahezu unbemerkt auf die Bühne des Schauspielhauses zu „schießen“.Denn hätte er nur sein Pamphlet verÖffentlicht, wäre es uns wohl nie bekannt geworden. Und das wäre für alle besser gewesen. Auch für »Nora«
2. überarbeitete Version vom 23.02.2012. (Ursprüngliche Variante)

Bild: Lupi Spuma /Schauspielhaus