michaelthurm

Wähler machen keine Fehler

So hatte ich mir das gedacht. Der schönste Grazer Chefredakteur nach Hubert Patterer gibt im einflussreichsten Wirtschaftsmagazin der Steiermark eine Empfehlung für die Grazer Gemeinderatswahl ab und zwanzig Prozent der Wähler halten sich dran. Am Tag nach der Wahl befragt die Hauptstadtpresse irgendwelche imaginierten Großväter, wer Stalin war und was er mit Mieterschutz und Medienqualität am Hut hat (Christian Ortner und Michel Reimon, Die Presse). Anders scheinen die Herren das Wahlergebnis nicht zu verstehen. Der Traum eines jeden Journalisten. Naja, nicht ganz.
Der Schlusspunkt vom letzten Monat zur Wählbarkeit der KPÖ gründete auf der Annahme, dass nicht nur unsere geschätzten Fazit-Leser, sondern auch alle anderen Wahlberechtigten mündige Bürger sind. Und daran hat sich nach diesem Wahlergebnis nichts geändert. Die einzige Änderung besteht darin, dass die Kommunisten wieder auf dem Niveau von 2003 liegen und die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat etwas ungünstig sind, wenn es künftig darum geht, mit Zweierkoalitionen Beschlüsse zu fassen. Nichts Neues also in der Murmetropole.
Trotzdem hat sich nach diesem Ergebnis eine Gruppe von Kommentatoren gefunden, die nicht nur das Existenzrecht einer kommunistischen Partei in Frage stellt, sondern auch behauptet, dass kein »reflektierter Mensch« diese Partei wählen könne (Christian Rainer, profil). Gut, die Herren Ortner und Rainer sitzen in Wien, da ist Graz ja noch immer die Stadt der Volkserhebung (ebenfalls profil).
Selbstverständlich darf man sich über ein Wahlergebnis ärgern. Aber man hat es zu akzeptieren. Und zwar vollständig. Es gibt keine »dumme Wahl« – dem Souverän, der als Grundbedingung unserer Demokratie a priori mündig ist, unterlaufen keine Fehler. Wenn ein Fehler besteht, dann in der unbegründeten und nicht zu begründenden Annahme dieser Mündigkeit. Wenn wir diese aber in Frage stellen, dann sollten wir nicht Einzelergebnisse, sondern unser gesamtes Wahlsystem diskutieren. Und zumindest Christian Ortner ist ja auch längst bei dieser Konsequenz angekommen: Er wünscht sich in seinem neusten Buch eine Elitokratie, in der jeder einen Führerschein braucht, um wählen zu dürfen. Darüber kann man diskutieren, aber das Thema ist vielleicht doch eine Nummer zu groß, um eine Grazer Gemeinderatswahl dafür zum Anlass zu nehmen.
Knapp zwanzig Prozent haben kommunistisch gewählt, das sind wegen der niedrigen Wahlbeteiligung gerade einmal 22.725 Wähler. Das ist nicht so viel, dass wir eine neue marxistische Revolution zu befürchten hätten. Ja, zwanzig Prozent sind beachtlich und die entstandenen Mehrheitsverhältnisse sind sicher nicht optimal; ebenso wenig wie die prophylaktische Koalitionsverweigerung der KPÖ und ebenso wenig wie die permanente Gegenwart Claudia Babels in der Nähe des Bürgermeisters.
Aber ja, wir können dieses Ergebnis gern zum Anlass nehmen, mal wieder über die Verbrechen des Stalinismus zu reden. Die ganzen Hitler-Dokus im Privatfernsehen könnten eh Abwechslung gebrauchen. Aber das hat nichts mit dieser kleinen kommunistischen Klientelpartei zu tun, deren wesentliches Merkmal unaufgeregte und sympathisch-langweilige Alltagspolitik ist.
Man muss selbstverständlich auch darüber reden, dass da eine Partei im Gemeinderat sitzt, die immer noch Enteignungsfantasien in ihrem Parteiprogramm stehen hat. Aber wer dieses Wahlergebnis »hinterfragt«, hat das Prinzip von Wahlen nicht verstanden. Jeder darf alles wählen. Und wenn die NSDAP kandidiert und gewählt wird, dann müssen wir nicht fragen, was das für böse Menschen sind, die eine nationalsozialistische Partei wählen, sondern wir müssen fragen, was dazu führt, dass die anderen Parteien nicht gewählt werden. Wenn wir das Wahlergebnis nicht als Wahl mündiger Bürger anerkennen, dann sollten wir nicht das Resultat hinterfragen, sondern das Prinzip der Wahl. Wenn das Volk entscheidet, dann entscheidet es ohne die Möglichkeit, diese Entscheidung danach zu relativieren. Es gibt keine richtige oder falsche Wahl, sondern ein Ergebnis, das hinzunehmen ist. Von allen. Alles andere ist für unsere Demokratie viel gefährlicher, als es Elke Kahr und die Grazer KPÖ je sein werden.