michaelthurm

Verwirrte Jugend – ÖH Wahl Uni-Graz 2011/Teil 2

Der zweite Teil der Interviews zur ÖH-Wahl an der Karl-Franzens-Universität Graz 2011 beginnt mit dem Spitzenkandidaten der Aktionsgemeinschaft, Phillip Maunz (24 Jahre). Die AG war in den letzten beiden Jahren Nach der der Koalitions- oder Duldungspartner von VSStÖ und Gras.

Phillip Maunz – AG


Phillip, wie warst du bisher innerhalb der ÖH aktiv?
Ich bin seit 1,5 Jahren Vorsitzender der FV Rechtswissenschaft und in der Zeit ist viel passiert: Wir haben durch sehr viel Aktionismus verhindert, dass man nur noch mit einem Bakkalaureat das Studium absolvieren kann. Das war wichtig, weil die Vorschriften für viele juristischen Berufe ein vierjähriges Studium verlangen und ein dreijähriger Bakk. hätte da nicht viel Sinn. Im Dezember gab es dann das Budgetbegleitgesetz, gegen das ich als FV-Vorsitzender auch massiv protestiert habe, weil man das Gerichtsjahr kürzen und fertige Akademiker nur mit 1.014 € bezahlen wollte. Damit drängt man Rechtspraktikanten an den Rand des Existenzminimus.
An diesen Rand fühlen sich viele durch die Maßnahmen deiner Mutterpartei ÖVP gedrängt. Sowohl die Kürzung der Familienbeihilfe, als auch die Reduktion der Wohnbeihilfe wurde von der ÖVP zu Lasten vieler Studenten beschlossen.
Also ich bin kein ÖVP-Mitglied und wir sind auch keine Parteijugend. Es gibt natürlich in der Aktionsgemeinschaft ÖVP- Mitglieder, aber ich bin keines und hab auch nicht vor eines zu werden. Die Rot-Schwarze Regierung ist bis heute säumig, die zwei Prozent des BIP in die tertiäre Bildung zu investieren. Das fordern wir, egal ob der Wissenschaftsminister nun Hahn heißt, oder ob es eine Ministerin Karl oder ein Minister Töchterle ist.
Lässt sich diese Distanz zur ÖVP vermitteln?
Ich glaube schon. Wir haben in den letzten beiden Jahren gezeigt, dass wir nicht der verlängerte Arm der ÖVP sind. Dass wir für eine massive Ausweitung des Stipendiensystems eintreten, dass wir die Studienbeitragsregelung, also Studiengebühren, ablehnen, das ist doch klar zum Ausdruck gekommen.
Ihr habt euch bis zum Herbst auch den Studierendenprotesten angeschlossen. Jetzt tretet ihr als AG für Zugangsbeschränkungen ein, seid also auf ÖVP-Linie.
Wir haben uns am Anfang an den Protesten beteiligt, weil wir den Protest für notwendig halten. Wie das Ganze aber dann in Sachbeschädigungen ausgeartet ist, haben wir uns abgewendet, weil das nicht unsere Art von Protest ist. Und wir sind nicht für Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen, sondern für ein Zugangsmanagement.

Das klingt nach einem Euphemismus.

Es gibt eine Vielzahl von Fächern, die von Massen von Studierenden belegt werden. Dort sollte es unserer Meinung nach didaktisch sinnvolle Auswahlkriterien geben, um den Studierenden auch früh genug aufzuzeigen, ob ein bestimmtes Studium für sie passt, oder doch eher ein anderes. Das würde die überfüllten Studiengänge entlasten – ungeachtet der Tatsache, dass wir mehr Geld brauchen.
Also Zugangsbeschränkungen.
Ich würde es nicht unbedingt so negativ benennen. Es geht um faires Zugangsmanagement.
Entspringt diese Begriffsumdeutung schon einer gewissen politischen Schulung?
Ich versteh die Frage nicht. Das Zugangsmanagement ist eine Forderung der AG, die kommt nicht von der ÖVP oder sonst woher.

Aber euer Vorschlag entspricht ungefähr jenen STEPs (Studieneingangsphase), die von ÖVP-Ministerin Karl vorgeschlagen wurden?

Eben nicht. Wir wollen keine Orientierungsphase, die sich über zwei Semester zieht. Ein einmaliger Test ist viel sinnvoller. Sonst kommt jemand erst nach einem Jahr drauf, dass er im falschen Studium ist.
Also ähnlich den Fachhochschulen, die mit Aufnahmeprüfungen arbeiten?
Das kann man sicher vergleichen.
Wie soll so die Koalition mit GRAS und VSSTÖ fortgesetzt werden?
Also wir sind in keiner Koalition, das sind nur Rot und Grün. Wir als AG stützen diese Koalition und wichtige Referate, wo wir das Know-How haben, sind von AG-Funktionären besetzt. Das war ein Teil der Zusammenarbeit. Finanzreferat, Sozialreferat, Arbeitsreferat, Referat für Internationales, da haben wir uns überall eingebracht.

Im Finanzreferat habt ihr doch zwei Funktionäre gehabt, die abgelöst wurden. Zum Teil müssen heute noch Fehler aufgearbeitet werden.

Da weißt du mehr als ich. Der erste Finanzreferent hatte zwei Jobs und die Aufgabe deshalb abgegeben und der zweite ist ins Ausland gegangen. Aktuell erfüllen wir die Aufgabe tadellos. Es muss nicht immer Kontinuität bestehen, manchmal ist so ein Wechsel sinnvoll. Unabhängig von dieser fehlenden Kontinuität, haben wir aber gut gearbeitet.
Das zeugt nicht gerade davon, dass sich die ehrenamtliche ÖH-Arbeit neben dem Studium ausgeht. Wie ist das bei dir?
Also ich bin in den letzten zwei Jahren sehr gut voran gekommen und stehe jetzt kurz vor meiner Diplomarbeit. Man muss vielleicht sein Privatleben etwas einschränken, aber das Studium ist durchaus vereinbar mit der ÖH-Arbeit.

Liegt das auch an der Art der Arbeit? Bis zum Jahreswechsel konnte man bei der AG ein aktives Politisieren feststellen. Seitdem werden fast nur noch Party- Aktivitäten bekannt gegeben. Woran liegt das?

Wir als AG sehen uns in erster Linie als Service-Fraktion. Wir sind politisch, wenn es notwendig ist, und wir sind nicht die einzigen, die Partys machen. Das Wahlprogramm ist ab Montag online, wenn man sich das anschaut, kann man nicht davon sprechen, dass wir politisch nicht kritisch sind. Da werden alle wichtigen Themen angesprochen.
Darin werdet ihr auch einen günstigen Parkplatz für Studierende fordern. Ist das nicht Klientel-Politik? Wer ein Auto hat, gehört doch nicht unmittelbar zu den bedürftigen Studierenden.
Also der Parkplatz ist ein Teil unseres Verkehrskonzeptes, zu dem auch ein Fahrradverleih gehört. Wir halten nichts davon, wenn die ÖH-Gelder in der Schublade liegen, sondern wir überlegen, wie wir sie einsetzen können. Lieber ein Projekt mehr, als ein Überschuss in der ÖH-Kasse. Und es gibt hunderte Studenten, die zwischen der Ost- und Weststeiermark und der Uni pendeln. Die kommen nicht in den Genuss des Mobilitätsschecks und sollen deshalb über das Park-and-Study- Konzept entlastet werden. Ich seh\‘ das nicht als Problem.

Der RFS

Der Ring der freiheitlichen Studenten hat seine ganz eigene Wahltaktik: Jeder mÖglicherweiße kritischen Diskussion zu der man eingeladen wird, fern zu bleiben, ist die eine Seite – Weder für den FALTER, das GeWitter, FM4 noch für das FRONTAL war der RFS-Kandidat zu erreichen. Auf der anderen Seite werden 20-seitige Farbdrucke an alle Studierenden versandt, zu deren Adressen man inzwischen Zugang erhalten hat.
Das scheint neben einer Batterie von Bierdosen („Prost, wenn dir die Linken stinken“) wichtigste Wahlwerbung zu sein. So ist wohl auch zu verstehen, dass sich der RFS über die späte Anerkennung als wahlwerbende Gruppe (und dem damit verbunden Zugang zum Wählerverzeichnis) ereifert hat. Im Magazin „Der Ring“, dass kurz vor der Wahl dann doch noch verschickt wurde, ist Beatrix Karl immer noch Wissenschaftsministerin, obwohl diesen Regierunsposten seit 21. April Karlheinz TÖchterle inne hat. Ich hätte trotzdem ein paar Fragen gehabt:


Warum beklagt ihr euch immer, dass ihr von den linken Fraktionen ausgeschlossen werdet, geht dann aber auch nicht den Einladungen nach, die ihr bekommt?
Für das Gewitter seid ihr ebenso eingeladen worden, wie für das FRONTAL.
Warum verwendet ihr Wahlplakate, die nicht der Norm des Rektorats entsprechen?
Aber ihr habt euch durch eure Unterschrift dazu verpflichtet.
Euch wird immer eine große Schnittmenge mit Burschenschaften nachgesagt, wie groß ist der Anteil von RFS-Vertretern, die auch in einer Burschenschaft sind?
Darüber hinaus wurde ein bekanter Neo-Nazi an eurem Wahlkampfstand gesehen.
Vertragen sich die Ansichten vieler deutsch-nationaler Gruppen mit den Grundsätzen einer liberalen Universität?
Wo sieht sich der RFS eher, bei den deutsch-nationalen oder bei den Liberalen?
Bist du Mitglied einer Burschenschaft?
Euer Wahlkampf folgt hauptsächlich dem Motiv gegen die linken Fraktionen zu schießen. Was sind darüber hinaus eure Anliegen?
Die könnte man aber auch ohne diese plumpe Rhetorik fordern.

Naja, was soll’s.

Marie Fleischhacker – GRAS

Sie sprangen vom dritten Platz aus auf den Vorsitz-Stuhl. Die Grünen & Alternativen Student_innen (GRAS) stellten nach acht Jahren, in denen die FLUG die ÖH prägte, erstmals einen Vorsitzenden. Und Cengiz Kulac wurde schnell zum Gesicht der Studierendenproteste 2009 und 2010. Immer mit dem Megaphon in der Hand, an der Spitze des Demo-Zuges. Dabei stand der ÖH-Vorsitzende nur auf Listenplatz vier der GRAS – und dort steht er auch diesmal.

Marie, wie glaubwürdig bist du als Spitzenkandidatin, wenn der aktuelle Vorsitzende Cengiz Kulac, wie bei der letzten Wahl, auf dem vierten Listenplatz der GRAS wartet?
Also das kann ich ganz sicher garantieren: Cengiz Kulac wird nicht wieder ÖH-Vorsitzender, der hat andere Pläne. Solche Entscheidungen werden halt immer getroffen, wenn die Wahl entschieden ist. Ich stehe bereit für diese Aufgabe, aber die Entscheidung muss am Ende die GRAS treffen.
Für jemanden, der die letzte Wahl nicht erlebt hat, ist es unverständlich, dass die drittstärkste Fraktion den ÖH-Vorsitzenden stellt. Das erinnert etwas an Wolfgang Schüssel und seine Blau-Schwarze Koalition.
Es ist doch absurd, dass eine Fraktion, die sich als basisdemokratisch versteht, vom dritten Platz aus den Vorsitz stellt.

Ja, das ist vielleicht so, aber es geht nicht nur darum, wer die Wahlen gewinnt, sondern wer ein Konzept für die nächsten zwei Jahre stellen kann.
Das behaupten alle Fraktionen von sich.
Natürlich behaupten das alle, sonst wären sie auch unglaubwürdig. Aber es kommt darauf an, wer eine Mehrheit zusammen bekommt.
Was spielt da eine größere Rolle: Die gesellschaftspolitischen Ansichten oder konkrete Projekte? Eure Mehrheit bestand ja aus GRAS, VSSTÖ und AG. Die ist ja weiter von euren Positionen entfernt als die FLUG.
Ja, das stimmt. Aber es hat sehr gut funktioniert, weil es uns die Aktionsgemeinschaft wahnsinnig einfach gemacht hat. Wir hatten den Vorsitz und dort sind sehr viele Entscheidungen getroffen worden. Die AG hat von sich aus nicht sehr viel Mitsprache eingefordert.
Und deren Positionen zu Zugangsbeschränkungen stellen kein Problem dar?
Natürlich gibt es große Divergenzen, aber die gibt es bei der FLUG auch. Dort weißt du nie, woran du bist, weil es sehr von den Personen abhängt. Es gibt Leute, die sehr nah bei den Positionen der GRAS sind, aber er gibt auch genügend Leute, die näher bei der AG oder noch weiter rechts sind. Sie waren in den letzten beiden Jahren auch eine lästige Opposition, aber es sind auch immer wieder sinnvolle Anregungen gekommen.

Solche Koalitionsspiele tragen sicher auch zur niedrigen Wahlbeteiligung bei. Was tut ihr, um die Wahlbeteiligung von zuletzt 27 Prozent wieder zu heben?

Wir versuchen mit möglichst vielen Studis in Gespräche zu kommen. Die ÖH ist ja ein sehr geschlossener Zirkel, wo alle in wahnsinnig tollen Abkürzungen reden. Unser Ziel ist es, auf die Probleme hinzuweisen und zu zeigen, welche Möglichkeiten wir haben, sie zu lösen.
Gibt es Ideen die Struktur der ÖH zu ändern? Die leistet ja auch ihren Beitrag dazu, dass sich so wenige dafür interessieren. Als Grüne müsstet ihr doch eure aktuelle Machtposition nutzen, um mehr Basisdemokratie in der ÖH durchzusetzen. Direktwahl zum Beispiel …
Solche Vorschläge gibt es vor allem auf Bundesebene. Grundsätzlich schreiben die Gesetze sehr hierarchische Strukturen vor, aber wir haben das in Graz ein Stück weit abgemildert, indem wir ein regelmä- ßiges Treffen der Referate eingerichtet haben, in dem dann Entscheidungen getroffen wurden.

Einer eurer Versuche war auch, die Studierenden per Postsendung zur Wahl aufzurufen. Diese Briefe gingen aber zu spät raus. Was ist da schief gelaufen?

Die Post hat uns damals einen zu späten Termin genannt, deshalb ist diese Aussendung zu spät erfolgt. Jetzt verhandeln wir mit der Post, dass wir möglichst nicht vollständig auf den Kosten sitzen bleiben.

Auf Bundesebene hat auch die GRAS den Vorsitz inne, dort gibt es eine dezidierte Nicht-Wählerkampagne, warum wird die nicht in Graz verwendet?

Wir könnten das hier machen, aber wir haben uns für eine eigene Kampagne entschieden.
Und warum traut ihr den Studenten nicht selbst zu, sich gegen den Ring Freiheitlicher Studenten (RFS) zu entscheiden? Entgegen dem Usus habt ihr den RFS, der als wahlwerbende Gruppe anerkannt ist, nicht zu Podiumsdiskussion eingeladen oder ihm Platz in der ÖH-Zeitschrift Libelle eingeräumt.
Wir haben diese Entscheidung in der Universitätsvertretung (UV) getroffen und jede Zeitschrift darf selbst entscheiden, ob sie alle wahlwerbende Gruppen berücksichtigt, oder nur jene, die bereits in der UV vertreten sind. Ich kann die Entscheidung der Libelle durchaus verstehen, weil der RFS mit dem, was er macht und wofür er steht, eine demokratische Grenze übertritt.
Aber es ist eine Entscheidung von Funktionären und damit eine Bevormundung der Studierenden, die sich selbst informieren wollen.
Das sehe ich nicht so. Wir haben nur eine bestimmte Zahl von Seiten in der Libelle und wollen die nicht nur mit Wahlwerbung vollstopfen. Das war eine redaktionelle Entscheidung.
Aber liefert ihr dem RFS damit nicht sein beliebtes Wahlargument, dass er immer ausgeschlossen wird?
Dann würde ich gern vom RFS wissen, warum er sich nicht an die Richtlinien des Rektorats hält und Plakate verwendet, die nicht zugelassen sind.
Noch eine persönliche Frage: Befürchtest du, dass du wegen deiner dunklen Hautfarbe im Wahlkampf benachteiligt werden könntest?
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass bestimmte Fraktion das zum Thema machen. Für die GRAS ist das überhaupt kein Thema, da spielen weder Hautfarbe, noch Geschlecht noch Herkunft eine Rolle. Bis jetzt gab es noch keine Angriffe, aber der Wahlkampf ist ja noch nicht losgegangen.
Viele Vertreter der GRAS haben ihre Arbeit während der Vorsitztätigkeit wieder beendet, noch nie gab es so viele Rücktritte. Warum sagen sich so viele: „Das tu ich mir nicht mehr an“?
Das ist es glaube ich gar nicht. Die Gründe, die einige zum Aufhören gezwungen haben, haben viel mit dem Studium zu tun: Irgendwann musst du einen Leistungsnachweis bringen. So ein ÖH-Job kostet wahnsinnig viel Zeit, Energie und Geld, weil du ja nicht nebenbei auch noch arbeiten kannst.

Was wäre der Punkt für dich, wo du sagst: Jetzt nicht mehr? Wenn die persönlichen Angriffe kommen, oder wären das auch eher ökonomische Zwänge?

Also, wenn es so weit kommt, dass ich es mir nicht mehr leisten kann, müsste ich irgendwann aufhören. Die Aufwandsentschädigung der ÖH deckt ja nur einen Bruchteil der Lebenskosten ab.

Lukas Lerchner – Veritas

Eigentlich gibt es die Liberalen gar nicht. Zumindest nicht in Österreich. Wo sie auch antreten, kommen sie nicht über die Stärke einer Splittergruppe hinaus, und auch bei der letzten ÖH-Wahl verfehlten sie den Einzug. Trotzdem gibt es immer wieder liberale Kandidaten, die Hoffnung haben, in diverse Vertretungsorgane zu kommen. Lukas Lerchner war zuletzt Vorsitzender der FV GeWi und ist jetzt Spitzenkandidat für die Liste Veritas. Das Interview mit ihm beginnt im selben Moment wie der Glockenschlag der Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit.

Jetzt hat meine letztes Stunde geschlagen. So wie für die kanadischen und britischen Liberalen.
Lukas, die Liberalen an der Grazer Uni werden, im Gegensatz zu den beiden internationalen Parteien, nicht 20% ihrer Stimmen verlieren können, oder?
Wenn man in absoluten Zahlen rechnet nicht, das stimmt. Die Luft nach unten ist dünn, aber 20 Prozent nach oben sind möglich. Hat das Interview schon begonnen?

Ja, klar. Das Aufnahmegerät läuft. Du hast dir diese Interviews mit den Spitzenkandidaten für das GeWitter gewünscht, im Wissen, dass du selber für die Veritas antrittst. Ist das nicht ganz schön frech?

Frech ist es vielleicht, aber ich geh davon aus, dass es besser ist, wenn jemand außerhalb des Systems diese Interviews macht. Und ich halte das schon für wichtig in einer Wahlausgabe. Sonst wäre das nur ein aneinander Heften von Fraktionsmeinungen geworden, und das würde ich selbst auch nicht lesen wollen.
Erwartest du also, dass sich dadurch irgendwas an der niedrigen Wahlbeteiligung ändert?
Nein. Ich glaube nicht, dass sich die Wahlbeteiligung bei der ÖH-Wahl effektiv steigern lässt. Ich lasse mich allerdings gern eines Besseren belehren. Zur Ehrenrettung der ÖH muss man aber erwähnen, dass die Beteiligung bei Interessenvertretungen immer niedriger ist. Selbst bei einflussreichen Gruppen wie der Arbeiterkammer …
An der Montan-Uni, um eine vergleichbare Ebene zu nehmen, liegt die Beteiligung deutlich höher als an der KFU.
Prinzipiell gibt es eine Tendenz, dass an kleineren Unis die Wahlbeteiligung größer ist. Das liegt sicher daran, dass sich die Leute dort eher persönlich kennen. Bei den größeren Unis kennt man vielleicht den Vorsitz, die Studien- und im besten Fall auch die Fakultätsvertretung. Es ist ja auch klar, dass eine Uni mit 27.000 Studierenden anders funktioniert, als eine Uni mit 3.000.
Als Philosophiestudent müsstest du dem französischen Philosophen Jacques Ranciere Recht geben, der die Demokratie nicht für eine Gesellschaft mit steigender Mitgliederzahl geeignet hält. Was ist die Alternative zum repräsentativen System der ÖH?
So hab ich das nicht gemeint. Ich wollte nur deutlich machen, dass die Art der Kommunikation in kleineren Gruppen anders funktioniert. Die repräsentative Demokratie ist sicher das effizienteste System der Partizipation, das wir kennen. Und die großteiligen Strukturen funktionieren ja trotzdem. Eine niedrige Wahlbeteiligung ist per se kein Delegitimationsgrund.

Aber als Liberaler muss dich doch die große Verzweiflung überfallen, wenn der mündige Bürger, und damit der mündige Student, wenn der zu über 70 Prozent kein Interesse daran hat, seiner Mündigkeit in einer Wahl Ausdruck zu verleihen.

Sowohl als Liberaler, als auch als ÖH- Vertreter ist man falsch am Platz, wenn man leicht zu deprimieren ist. Natürlich ist es absurd, das rund um das Mittelmeer Menschen für ihr Wahlrecht sterben und die Studierenden, die eigentlich die Aufgabe haben, eine Elite der Gesellschaft zu sein, davon keinen Gebrauch machen. Das ist natürlich schlecht. Aber daraus eine Delegitimierung der ÖH zu folgern, das will ich so nicht stehen lassen.
Ist nicht das System der ÖH selbst daran Schuld, dass niemand mehr zur Wahl geht? Der aktuelle Vorsitzende kommt aus der drittstärksten Fraktion von Listenplatz vier.
Also, wenn Leute diesen Einblick haben, dann haben wir als ÖH einen sehr guten Job gemacht. Dann würde sich ja Interesse an unserer Arbeit zeigen. Aber soweit sind wir offensichtlich noch nicht. Ich bin der Meinung, dass jeder das Recht hat, nicht zu wählen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: „Scheiß auf alles, ich vertrete mich selbst“ oder man ist so vermessen und verrückt, dass man ohne Geld und Partei versucht, das System zu verändern. Das ist der Weg, für den ich mich entschieden habe.
Jetzt hat die Liste Veritas, wie alle anderen, mit einer niedrigen Wahlbeteiligung zu kämpfen, aber ihr seid innerhalb aller Fraktionen auch jene mit den wenigsten Stimmen. Eigentlich müsste doch innerhalb des akademischen Umfeldes liberales Potential vorhanden sein.
Wenn es das nicht gäbe, würde ich nicht antreten. Bei der Wahl 2009 haben wir 118 Stimmen bekommen. Da sind sicher noch viele Fehler gemacht worden, aber daraus lernt man. Innerhalb dieses akademischen Milieus ist die individuelle Freiheit ja besonders wichtig. Alle wollen frei entscheiden, was sie Studieren und wie sie ihre Schwerpunkte setzen.
Aber das haben alle Fraktion in ihren Grundsätzen. Krankt die Veritas daran, dass eure liberalen Kernziele inzwischen zu selbstverständlichen Zielen geworden sind?
Also es gibt schon noch einen Unterschied zwischen einem liberalen Freiheitsbegriff und einem linken Freiheitsbegriff. Das kann man daran festmachen, dass wir an die freie Entscheidung durch Information glauben. Die grün-rote Exekutive hat dagegen mit dem Usus gebrochen, dass alle wahlwerbenden Fraktionen Platz in der ÖH-Zeitschrift bekommen und zu Podiumsdiskussionen eingeladen werden. Der Vorsitz hat sich entschieden, nur die bereits in der Universitätsvertretung (UV) vertretenden Fraktionen einzuladen, um so den RFS draußen zu halten. Da wird viel Schindluder mit der Freiheit des Andersdenkenden getrieben.

Jetzt reduzierst du den Freiheitsbegriff etwas zu sehr auf den Wahlkampf. Bleiben wir noch bei der Freiheit des Studierenden. Die linken Fraktionen fordern viel stärker einen freien Hochschulzugang als ihr es als Liberale tut. Das ist doch ein Widerspruch.

Wir müssen uns diesen freien Hochschulzugang ernsthaft anschauen. Auf der einen Seite kann jeder alles studieren, auf der anderen Seite verändern sich dadurch die Studienbedingungen so, dass die Studierenden ganze Semester verlieren, weil sie in bestimmte Kurse nicht hinein kommen. Das ist nicht nur ein Problem der massiven Unterfinanzierung und hat natürlich zur Folge, dass wir ein sozial ungerechtes System bekommen, weil diejenigen deren Eltern es sich leisten können, länger studieren. Deshalb bin ich dafür zu Beginn des Studiums zu selektieren. Dafür haben dann alle würdige Studienbedingungen.
Ist das aus deiner Perspektive, du bist als Ärzte-Kind auch einer der privilegierten Studenten, glaubwürdig?
Ich bin ja auch ein klassischer Bummelstudent, ich bin 24 und könnte schon fertig sein. Worum es aber geht ist, dass ich zumindest die Möglichkeit haben will, dass jeder zügig fertig studieren kann, der es will. Das wird gegenwärtig durch den freien Hochschulzugang verunmöglicht, der von der SPÖ verteidigt wird. Auf der anderen Seite hätte die ÖVP gern Zugangsbeschränkungen mit einem leistungsbezogenen Stipendiensystem. Die Wahrheit wird wie so oft in der Mitte liegen.

Die ihr besetzen wollt, oder was ist das für eine Floskel?

Ich glaube, dann würde sich eine höhere soziale Durchlässigkeit erreichen lassen. Das sieht man an den Fachhochschulen. Wir schlagen aber auch als einzige Fraktion nachgelagerte Studiengebühren vor. Also das man zu Beginn des Studiums ein zinsloses Darlehen aufnimmt, was man dann möglichst langfristig zurück zahlt. Das ist ähnlich dem deutschen BAföG. Die meisten akademischen Lebensentwürfen bestehen ja aus einer finanziell eher knappen Studienzeit und einem dann umso höheren Einkommen.
Hat ein solch komplexes System eine Chance gegenüber der simplen und klaren Forderung nach dem freien Hochschulzugang?
Ich glaube, ich kann schon vermitteln, dass es ungerecht ist, wenn mir die Billa- Verkäuferin über das Steuersystem das Studium finanziert. Das hat auch etwas mit dem linken Wert der Solidarität zu tun, aber natürlich auch mit Eigenverantwortung. Und ein angehender Akademiker sollte in der Lage sein, mit einem Kredit, wie ihn jeder Häuslebauer hat, umzugehen. Ja, ich halte Studierende für intelligent genug, das zu verstehen.
Das war ’s. Geht wählen. Und zwar richtig