michaelthurm

Übergeht uns!

Es liegt schon im Namen: Ãœbergangsregierungen übergehen. Sie bilden nicht nur den Ãœbergang zwischen der einen gescheiterten und der folgenden, noch zu wählenden Regierung. Sie übergehen auch den verfassungsmäßig gesetzten Souverän: das Volk. Sie werden von Staatspräsidenten eingesetzt und von einem, meist handlungsunfähigen, Parlament gebilligt.
In Griechenland gibt es seit wenigen Wochen eine solche Ãœbergangsregierung. Papademos – der Vater des Volkes – wird zum exekutiven Ersatz für die abgesagte Volksabstimmung.
In Italien wird mit Mario Monti der Wunschkandidat des Staatspräsidenten eingesetzt, der sich dann recht flott eine Regierung zusammenstellt, die vor allem deswegen gefeiert wird, weil darin kein einziger Politiker vertreten ist. Montis Begründung: »Die Abwesenheit von Politikern wird dieser Regierung helfen.«
In Belgien zeigt sich seit Juli 2010, dass Ãœbergangsregierungen durchaus reibungslos die Geschäfte eines Staates führen kÖnnen. Vor allem wenn der abgewählte Premierminister Yves Leterme einfach den Vorsitz dieser Interims-Regierung übernimmt. Gerade erst hat Elio Di Rupo als mÖglicher Nachfolger das Handtuch geworfen. Bis Ende des Jahres will Leterme sein Ãœbergangs-Amt nun zurücklegen. Nicht, weil Volk oder Gesetz ihn dazu zwingen, sondern weil er entschieden hat, dass die Position des OECD-Generalsekretärs eine bessere ist.
All diese Regierungen auf Zeit haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Normalfall einer gewählten Regierung: Sie wollen nicht wiedergewählt werden. Bisher zumindest hat keiner der Ãœbergangsregierer Ambitionen erkennen lassen, sich einer Wahl zu stellen und sein Amt über die Krise hinaus zu behalten. Die Ersatz-Staatschefs sind daher nicht auf das unbedingte Wohlwollen des Volkes angewiesen. Sie sind freier in ihren politischen Entscheidungen und werden gerade deshalb auch vom eigenen, obwohl übergangenen, Volk akzeptiert.
Aber was heisst das? Wenn halbdemokratisch eingesetzte Regierungen eine bessere Regierungsarbeit leisten als gewählte, sollte dann nicht die Ãœbergangsregierung zum Normalfall, und die Macht der Staatspräsidenten, die eine solche Regierung einsetzen kÖnnen, gestärkt werden? Damit haben vor allem die Deutschen schlechte Erfahrung, die ihre Wirtschaftskrise von 1929 (die auch damals von einer massiven politischen Krise begleitet war) nach vier Jahren nur noch lÖsen konnten, indem der damalige Präsident Paul von Hindenburg eine neue Regierung einsetzte. Den wirtschaftlichen Aufschwung, den Deutschland anschließend erlebte, verdankte es allerdings vor allem den Kriegsvorbereitungen, die der so an die Macht gekommene Kanzler Adolf Hitler begonnen hatte.
Nun muss man nicht den schlimmsten anzunehmenden Fall einer Ãœbergangsregierung ins 21. Jahrhundert transportieren. Aber über die Legitimation einer wachsenden Zahl von Expertenregierungen muss zumindest debattiert werden. Die Expertise eines Fachmanns ist ja auch eine Form der Legitimation, aber sie ist nicht im engeren Sinne demokratisch. Und ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich lieber eine gute Regierung ohne demokratische Legitimation, oder eine schlechte Regierung nach Volkes Willen haben will.
Und Österreich ist vor dieser Entscheidung keineswegs gefeit. Das Verhältnis der Bundes-Koalition ist bei Weitem nicht so gut, dass ihre Zusammenarbeit bis 2013 gesichert ist. Und trotz der feierlich verkündeten „Schuldenbremse“ wurde anschließend gegen Österreichische Staatsanleihen spekuliert. Wie lange würde sich wohl eine Regierung Faymann im Amt halten kÖnnen, wenn aus dem symbolischen Rating AAA ein Buchstabe verändert werden würde? Nur weil es um Frankreich noch schlimmer steht und dort mehr zu holen ist, konzentriert sich die Mehrheit der Anleger inzwischen lieber auf die Grand Nation.
Halten sich die Deutschen weiter an ihr Paradigma „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, dann kÖnnen wir uns schon jetzt überlegen, welche Experten in Österreich und auf europäischer Ebene eine Ãœbergangsregierung bilden sollten. Denn diese Regierung hätte dann ihren einzigen Zweck darin, jene notwendigen Schritte umzusetzen (Renten-, Verfassungs- und Steuerreform), die längst überfällig sind. Denn nur wenn dies getan wird, kann der Ãœbergang in eine Post-Schulden-Ära gelingen. Es gibt genug Experten, die genau dieser Meinung sind – aber das macht sie noch lange nicht regierungsfähig.