michaelthurm

Stochern in der Glut – 1 Jahr nach #unibrennt

Für den FALTER Nr. 41/10 entstand folgende Geschichte über die Situation ein Jahr nach den Uniprotesten. Aus Platzgründen mussten einige Passagen gekürzt werden, ich habe sie hier aber zusätzlich eingefügt.
Von der Decke des HÖrsaals hängt ein gerupfter Hahn. Er hängt dort seit fast einem Jahr als Ãœberbleibsel der „unibrennt-Revolution“ im vergangenen Herbst, eine skurrile Pappfigur als Anspielung auf den damaligen Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP). An der Tür zu diesem HÖrsaal hängt außerdem ein Zettel mit der Aufschrift „Willi Gaisch Saal“. Auch das eine Folge der Uniproteste. Gaisch war NS-Widerstandskämpfer und starb nach einem Schlaganfall, den er während einer Zeitzeugen-Veranstaltung in eben jenem HÖrsaal erlitten hatte. Um seiner zu gedenken, forderten die Besetzer die Umbenennung – und waren erfolgreich.
Doch wie sieht es mit anderen Forderungen von damals aus? Im Herbst 2009 wurden nach Wiener Vorbild auch in Graz HÖrsäle besetzt. „Die Uni brennt“ war der Slogan der Stunde. Mehr Geld für Bildung, freier Hochschulzugang, Bildung statt Ausbildung – das waren die Forderungen, die auf den Transparenten zu lesen waren. In Graz wurde zuerst die Vorklinik der Karl-Franzens-Universität (KFU) besetzt, vier Tage später folgte die Technische Universität (TU). Den HÖhepunkt bildete eine Demonstration mit rund 3000 Teilnehmern durch Graz. Wegen der besetzten HÖrsäle mussten damals Gewi-, Psychologie- und BWL-Studierende in Kinosäle ausweichen. (Das ist für die BWLer heuer auch ohne Besetzung nÖtig.) Erst die Weihnachtsfeiertage brachten die letzten Besetzer dazu, ihre Schlafsäcke einzurollen. Doch hat sich seit damals etwas verbessert? Und was machen die Besetzer, glüht da noch was an den Unis?
34 Millionen Euro hatte Johannes Hahn damals als Notfallhilfe für alle Unis versprochen. Das war alles, die Probleme blieben. Vor allem die Betreuungsverhältnisse an den großen Instituten seien „undenkbar“, wie es zuletzt TU-Rektor Hans Sünkel formulierte. Der grÖßte Erfolg aus Sicht der Protestierenden war wohl noch die Zusage, dass der Zugang zu Master-Studiengängen an der KFU vorerst nicht beschränkt wird. Das hat Rektor Alfred Gutschelhofer für seine Amtszeit versprochen, also noch bis 2011.
Davon profitieren aber nur wenige derer, die im Vorjahr auf die Barrikaden stiegen. Karolina Kastenhuber ist noch im alten System, also in einem Diplomstudiengang, und hat noch niemanden gefunden, der ihre Diplomarbeit betreut: Es fehlen Professoren. Kastenhuber studiert Spanisch und Russisch und hat fast all ihre Lehrveranstaltungen absolviert. „Nur mit der Diplomarbeit kann ich nicht beginnen.“ Drei Professuren wären am Institut für Translationswissenschaft nachzubesetzen, doch zumindest einer der bisherigen Bewerber soll von einem zu niedrigen Gehaltsangebot abgeschreckt worden sein. Immerhin wurden zwei zusätzliche Stellen für Dozenten ausgeschrieben. Finanziert werden sie von einem Teil jener 2,9 Millionen Euro, die der KFU aus der Ministerreserve bereitgestellt wurden. Auch diesen Erfolg kÖnnen die Protestierenden für sich verbuchen – wenn die Lehrenden denn noch gefunden werden.
Insgesamt wurden in Folge der Proteste magere fünf zusätzliche Lehrkräfte für die gesamte KFU bewilligt. Mit den 2,9 Millionen werden außerdem rund 350 Lernplätze installiert, an denen Studierende außerhalb der HÖrsäle arbeiten kÖnnen. Acht dieser Lernplätze sollen dann genau dort stehen, wo Karolina Kastenhuber jetzt noch in einem Sofa versinkt, das vor vielen Jahren einmal sehr grün war. Doch die Forderung nach mehr Arbeitsplätzen war damals eine Nebensächlichkeit. „Was wir wirklich brauchen, ist mehr Personal“, sagt Kastenhuber. Dafür würde die 24-Jährige auch diesen Herbst wieder demonstrieren.
Weniger an Professoren, sondern vor allem an Laborplätzen fehlt es bei den Molekularbiologen. Alex Murer hat sein Studium 2008 begonnen, im selben Jahr wurden die Zugangsbeschränkungen abgeschafft, und seit dem sind deutlich mehr Studenten da, als auf 120 Laborplätzen arbeiten kÖnnen. In Murers Jahrgang mussten noch rund fünfzig Studierende auf einen Platz warten, heuer sind es doppelt so viele. Mehr Laborplätze sind nicht in Aussicht, eine einmalige  Umorganisation soll aber den Rückstau vorerst abschwächen. Der TU Graz geht es im Vergleich zur KFU immer noch relativ gut, aber auch hier nehmen die Schwierigkeiten mit jedem Jahr zu. Der grÖßte Andrang herrscht bei den Architekten. Für diese hatte der Senat im Vorjahr Zugangsbeschränkungen beschlossen.
Das wurde aber verhindert, weil von vielen Seiten gesagt wurde, dass diese illegal sind. Lukas Ladinig hat mit zwei Kollegen ein Pressemitteilung verfasst, in der darauf hingewiesen wurde. Der Paragraph 124b erlaubt Zugangsbeschränkungen nämlich nur in Fächern, die in Deutschland mit einem Numerus Clausus belegt sind. Architektur gehÖrt nicht dazu. Also blieb das Studium ohne Zugangsbeschränkung.
Lukas Ladinig gehÖrte auch zu denjenigen, die auf der TU den HÖrsaal II besetzt haben. Aber „wir haben das nur aus ideologischen Gründen gemacht. Wir sind bald fertig und kÖnnen unsere Kinder wohl irgendwann mal auf Privatunis schicken.“ Vom heißen Herbst, den sein Rektor Hans Sünkel angekündigt hat, erwartet er nicht viel. „Bei den Studenten ist die Luft raus. Jetzt kommen die Rektoren darauf, was zu machen, das hätte es damals gebraucht“.
Doch dazu kam es nicht, denn sie sind nur noch in Fächern erlaubt, bei denen in Deutschland ein Numerus clausus gilt; Architektur gehÖrt nicht dazu.
Neue Lehrkräfte bräuchte auch die TU, stattdessen haben aber zuletzt mehrere Professoren das Weite gesucht: Sie sind nach Deutschland gegangen, wo ihnen bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen winken. Und weil es nach Aussagen der neuen Wissenschaftsministerin Beatrix Karl nicht nach mehr Geld aussieht, ist für den ÖH-Vorsitzenden der KFU, Cengiz Kulac, klar: Es braucht einen zweiten heißen Herbst.
Letzte Woche lud er deshalb zum ersten „Plenum“ in diesem Studienjahr. „Diesmal besteht ein breiterer Konsens mit Betriebsräten und Rektoren“, ist er zuversichtlich, heuer mehr Erfolg zu haben. Beim „Plenum“ versammelten sich vor allem alte Besetzer, viele aus den Reihen der Grünen und Alternativen StudentInnen (GRAS) und des Kommunistischen Studentenverbands (KSV). Hin und wieder ist das alte Abstimmungsritual zu sehen, bei dem die Hände zur Zustimmung in der Luft gewedelt werden. Aber mindestens genauso oft murmelt jemand etwas wie „Ich muss zum Privatissimum“ und ist weg. Die Zahl der Anwesenden halbiert sich bald auf einen harten Kern von dreißig Leuten.
Für den 19. Oktober haben die Rektoren eine Universitätsvollversammlung angesetzt. Dort sollen sich Studierende, Mittelbau und Professoren mit ihren gemeinsamen Zielen artikulieren. Dabei wird sich alles auf eine Forderung konzentrieren, meint Kulac – und verwendet die gleiche Formulierung wie die Rektoren: „Mehr Geld!“ Darin sind sich alle einig. Auch wenn die Rektoren manchmal „etwas schwammig sind“. Dass diese auch immer noch Zugangsregeln und Studiengebühren fordern, ist gar nicht mehr so ein großes Thema. Man brauche „mehr Breite statt Tiefe“, gibt einer im Plenum zu bedenken, und das lasse sich nicht mit allen alten Forderungen vereinbaren. Wichtiger sei die Mobilisierung, und so wird mehr über die Demo gesprochen, die im Anschluss an die Vollversammlung stattfinden soll. Die Transparente für den freien Hochschulzugang kÖnnten dann verschwinden: „Damit bekommen wir die Leute nicht mehr auf die Straße.“
 
Alternatives Ende:
Johannes Hahn geht es indes gut. Statt sinnbildlich „gerupft“ von der Decke des HÖrsaales zu baumeln, verwaltet der „Regionalkommissar“ das grÖßte Budget der EU. Die Grazer Unis werden davon aber wahrscheinlich nie etwas zu sehen bekommen.
Alternativer 3. Absatz:
Lukas Lerchner und seine Philosophie-Kollegen hatten ihren alljährlichen Sturm-und-Maroni-Stand auf dem Vordach der Geisteswissenschaftlichen Fakultät (GeWi) geplant, als vor der nächst gelegen Vorklinik die Besetzer anrückten. Also verlegten er und seine Kollegen den Stand dort hin und wurde am 27.Oktober 2010, dem Tag des ersten Plenums, zum Schankwirt der Vorklinik. Mehr aber nicht: „Ich habe nie im HÖrsaal übernachtet. Das ist widerlich“. Und auch wenn Lerchner sich nicht als Teil der Besetzung sieht, hat er an der Umsetzung ihrer Ziele mitgewirkt. Für das so genante GeWi-Basismodul hat er einen Leitfaden mit geschrieben. Dieses war umstritten, weil der verpflichtenden Kanon aus Lehrveranstaltung ähnlich wie ein Zweitstudium funktioniert, aber keinen Abschluss bringt. Nebenbei bemüht er sich als Fakultätsvertreter darum, dass innerhalb des Basismoduls auch Fächer wie BWL gewählt werden kÖnnen, die nicht zu den Geisteswissenschaften gehÖren. Dabei ist sich Lerchner nicht einmal sicher, ob die Kritik am Basismodul nicht viel eher dadurch motiviert war, dass bei der nÖtigen Prüfung in Wissenschaftstheorie rund 70% durch den Multiple-Choice-Test geflogen sind. Selbst Ministerin Karl gab zu, dass Knock-Out-Prüfungen manchmal die einzigen Methoden sind, mit der sich Lehrende gegen die HÖrsaalüberfüllung wehren kÖnnen. An einem konkreten Beispiel wird das aber nie zugegeben.
 
MARGINALE:
Eine Studie im Auftrag der ÖH hat die Meinung der Grazer Studierenden zu den Protesten untersucht. 1.755 Studierende von den vier Grazer Unis haben sich im Dezember 2009 daran beteiligt, knapp 80% davon hielten die Proteste für gerechtfertigt. Mit der Form des Protestes waren aber weit weniger einverstanden: Nicht einmal die Hälfte goutierte die HÖrsaalbesetzungen. Noch weniger, gerade einmal 24%, finden den „freien Hoschulzugang in allen Studien“ wichtig. Außerdem lehnen direkt Betroffene die Proteste eher ab: sowohl die jüngeren Semester, die im Bologna-System studieren, als auch Studierende der Massenfächer BWL und JUS.