michaelthurm

Selbst oder nicht. Das ist die Frage.

Ich war gar nicht im Theater. Oder ich habe nur so getan. Und nun tue ich nur so, als ob es mir gefallen hätte. Oder lasse lieber alle denken, dass es mir nicht gefallen hätte, obwohl es mir doch gefallen hat. Wenn ich denn dagewesen wäre. »Sei nicht du selbst« ist Titel und Gebrauchsanweisung für Boris Nikitins Theaterstück, das aktuell im Programm des Steirischen Herbst aufgeführt wird. Ein Stück über das Schauspielen und Rollenspielen ganz im Sinne des großen William Shakespeare: „All the world’s a stage“

Katharina Klar, Julian Meding, Thomas Frank, Adrian Gillot und Lorenz Kabas (Foto: Lupi Spuma)

Katharina Klar, Julian Meding, Thomas Frank, Adrian Gillot und Lorenz Kabas (Foto: Lupi Spuma)


Wie schon beim letzten Grazer Stück von Boris Nikitin »Bartleby oder Sicherheit ist ein Gefühl« geht es um Selbstfindung und Selbstdefinition, vor allem auf der Bühne. Deshalb spielen sich die fünf Schauspieler selber, oder tun zumindest so, als würden sie sich selber spielen. In einer sich wiederholenden Vorstellungsrunde ändert sich zwar ständig das angebliche Alter der einzelnen Protagonisten, aber nichts an ihrer parodierten Authentizität. Der Zuschauer darf sich über die grandiosen Schauspieler, ihre Selbstbilder und das, was sie davon preisgeben, kaputtlachen: Neben Katharina Klar und Thomas Frank (beide Schauspielhaus Graz) glänzen Lorenz Kabas (Theater im Bahnhof), Charles (!) Adrian Gillott sowie der fantastische Julian Meding. Sie spielen wunderbar gekünstelt und glaubwürig, nur über sich selbst dürfen sie nicht lachen, das wäre zu viel der Ironie.
Niemand weint nach einer vorherigen Ankündigung noch so ekelhaft authentisch wie Thomas Frank, und niemand kann darüber so glaubwürdig verwundert den Kopf schütteln wie Adrian Gillott: »Ich könnte das nicht«. Die Schauspieler erzählen von ihrer Kindheit, ihren Krankheiten, ihrer Wohnsituation und vom Tod ihrer Großmütter. Oder besser: Sie erzählen das, was sie erzählen wollen. Also das, wofür es Lacher und Applaus gibt. Das geht bis zum absurd brutalen Kleidertausch unter den Protagonisten: Thomas Frank (pretending to be 115 Kilo) zwängt sich in das Spaghettitop von Katharina Klar (pretending to be Kleidergröße 34). Übernimmt er dabei den leidenden Gesichtsausdruck von ihr gleich mit, oder tut er nur so? Stimmt das, was ich sage? »Ich kann ja einfach etwas behaupten. Ich kann ja einfach mal etwas annehmen.« Das sind die Sätze, um die sich das Stück dreht. Um das Leben. Behauptungen. Annahmen. Um das, was wir sind, und das, was die anderen sind. Um das, was Theater ist. Und beides ist letztlich oberflächlich. Und streitbar und lustig und lächerlich und traurig … So können wir noch eine Weile fortsetzen. Wir sind nicht wir selbst. Trotz aller Ironie. Oder gerade ihretwegen.

Foto: Lupi Spuma/Schauspielhaus Graz

»Sei nicht du selbst«
Schauspielhaus Graz
von Boris Nikitin
u.a. mit Katharina Klar, Thomas Frank und Lorenz Kabas

Weitere Vorstellungen:
7., 8., 24. und 29. Oktober
sowie 24. und 25. November
Beginn jeweils 20 Uhr