michaelthurm

Robert Misik – Fazitgespräch

Ebenfalls gemeinsam mit Markus Zottler geführt.

Rote Ideen in Schwarz-Weiß

Herr Misik, 200 Jahre Darwin werden ausgiebig von der Publizistik gefeiert. Welche Bedeutung hat heute noch das Recht des Stärkeren?
Es ist schon einmal ein Fehler, naturwissenschaftliche Erklärungen auf die Gesellschaft zu spiegeln. Aber selbst in der Naturwissenschaft hat Darwin ja nicht vom Recht des Stärkeren, sondern vom „Survival of the fittest“ gesprochen. Und das ist der, der sich am besten an die Umweltbedingungen angepasst hat.
Wer ist der Fitteste? Jener, der am meisten Geld anhäufen kann und sich, kombiniert mit Wissen, damit die meisten MÖglichkeiten erÖffnet?
Naja, sagen wir es so: Bill Gates ist ein reicher Mann und hat sich im Kampf „Jeder gegen jeden“ durchgesetzt und viel Geld angehäuft. Dazu kommt eine kooperative Kompetenz. Bill Gates hat eine Technik vorgefunden, die eine kluge Generation bereitgestellt hat: das Internet. Das hat er produktiv für sein Geschäft genutzt. Kooperativ kombiniert, wenn man so will. Er gehÖrt zu den „Fittesten“, weil er Konkurrenz und Kooperation am klügsten kombiniert hat.
Aber Microsoft ist im Vergleich zu Open Source kein Beispiel für kooperative Zusammenarbeit.
Das ist richtig, Open Source ist es nicht. Aber die Illusion eines reinen Selfmademan ist auch falsch. Keiner ist ein reiner Selfmademan, sondern einer, der nutzt, was es schon gibt.
Wo ist die Grenze zwischen dem „friendly fittest“ und dem rücksichtslos Stärksten, der seinen Eigensinn durchsetzt? Ob gut oder schlecht.
Ich würde das nicht vom Individuum abhängig machen, sondern von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Und dort spricht viel dafür, dass die Gesellschaften am besten funktionieren, wo das Leistungsprinzip besteht, gleichzeitig aber mÖglichst viele Menschen die MÖglichkeit haben, ihre Talent zu entwickeln. In einer Gesellschaft, wo das nur zehn Prozent kÖnnen, fehlt ja der Talente-Pool und damit fehlt auch die brummende WissensÖkonomie, die nÖtig ist, um das zu verkaufen.

Das beschreibt eher, wie wir zu einer „fitten“ Gesellschaft werden, aber nicht, wer im Moment dazu gehÖrt. Das scheinen doch eher die „Egoisten“ zu sein.
Ja, aber gleichzeitig ist es eine ungesunde Situation. Nicht nur aus der moralischen Situation, sondern aus objektiven Tatbeständen heraus. Bis zur Finanzkrise hätte der neokonservative Common Sense gelautet: Der Egoismus, den der Einzelne verfolgt, schlägt in Prosperität um. Heute kÖnnen doch nur noch Fantasten sagen, dass der Egoismus in allgemeinen Nutzen umschlägt. Was auf den Finanzmärkten passiert, war nichts Unmoralisches. Unter den dort herrschenden Regeln haben die Leute dort sehr angemessen gehandelt. Das Ergebnis ist aber ein Megadesaster. Hätte man Regeln eingeführt, die das Verfolgen des Eigeninteresses in einen Rahmen lenken, wäre es für alle besser gewesen. Auch für die „Egoisten“.

Hat Bill Gates das neokonservative Umfeld, in der Zeit Ronald Reagans, geholfen, zu dem zu werden, was er ist?
Ich hab ein Problem mit der Holzhammermethode. Ohne Zweifel ist es so, dass es eine Rolle spielt. Es gibt ein Amalgam an Veränderung. Nennen wir es so.Wir hatten ein Ökonomisches Arrangement nach 1945, über 30 Jahre, das war das Modell nach Keynes. Dann herrschte 30 Jahre, offenbar eine Halbwertszeit, ein anderer Geist. Der zeichnet sich aus durch neokonservativer Ideen, deregulierte Märkte und den Unternehmer als Held.

Wenn man Ihr Buch „Politik der Paranoia“ liest, dann gehÖren PersÖnlichkeiten wie Ronald Reagan zur Gruppe der Neokonservativen, ebenso wie Papst Benedikt oder Ann Coulter. Warum ein so undifferenziertes Bild?
Ich versuche das Bild deshalb so breit zu zeichnen, weil es diesen – nennen wir es provisorisch – „neokonservativen Komplex“ gibt…
…das „rechte Lager“?
Ja, das umfasst aber unheimlich viele Milieus, die nicht viel miteinander zu tun haben. Was hat zum Beispiel die Farmerin aus dem Bible Belt mit dem Broker in NY zu tun? Insgesamt war aber dieser Block die Basis für die rechte amerikanischen Regierung, auch vor George Bush. Jetzt kann man sagen: Nicht jeder, der gegen hohe Steuern ist, meint auch, dass die westliche Gesellschaft dekadent ist und wir uns im Kampf der Kulturen befinden…
Aber wer eines von beidem meint, ist ein Neokonservativer?
Nein, Nein! Aber das Problem ist, dass erstaunlich viele Menschen mehrere Ãœberzeugungen aus diesem Ãœberzeugungspool teilen. Und das macht sie zu einem überraschend stabilen Block.
Deshalb fassen sie Ann Coulter, Papst Benedikt und Michael Fleischhacker zu einer Gruppe zusammen?
Ach, Michael Fleischhacker würde es wahrscheinlich nicht als Frivolität empfinden, mit Ann Coulter verglichen zu werden. Wahrscheinlich liest er sie täglich, um ein paar Formulierungen zu finden. Ebenso wie Christian Ortner, mit dem ich gut befreundet bin.
Wie kann ein Sozialliberaler überhaupt Kulturkritik üben und gleichzeitig noch sagen, ich hätte gerne niedrigere Steuern, ohne sich gleich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, nach Ihrem Bild, ein Neokonservativer zu sein?
Ein kluger, progressiver Sozialliberaler wird es schaffen, diese Kritik in einem Sound zu formulieren, der ihn von einem Neokonservativen abhebt. Ein nicht so kluger Sozialliberaler wird den Sound so wählen, dass er vom Neokonservativen nicht mehr unterscheidbar ist.
Was ist dann Francis Fukuyama? Er gilt als Vordenker der Neokonservativen und schreibt vom „Ende der Geschichte“. Die Marktwirtschaft und die Demokratie sind akzeptiert und werden weiter bestehen.
Francis Fukuyama ist ein merkwürdiger Neokonservativer, weil er eigentlich keiner ist. Er hat sich ja auch in den letzten Jahren von den Neokons distanziert. Da muss man die analytische und die pamphletistische Seite unterscheiden.
Machen wir es analytisch. Sind wir am Ende der Geschichte?
Ich glaube, dort wurde Fukuyama falsch verstanden. Wenn Geschichte im emphatischen Sinn die Abfolge von Gesellschaftsformationen ist und diese mit großen ideologischen Erzählungen verbunden ist, dann hat Fukuyama zum Zeitpunkt seiner Analyse, nämlich 1990, sicherlich recht gehabt. Das Basisprinzip war und ist bis heute unbestritten, nämlich das einer demokratischen Marktwirtschaft. In diesem Sinne sind wir gewissermaßen am Ende der Geschichte.
Das schließt aber zwei Dinge nicht aus. Einerseits, dass es innerhalb dieses Arrangements Debatten über dessen Ausformungen gibt, und andererseits schließt es nicht aus, dass durch weltgeschichtliche Ãœberraschungen, wie jetzt durch die Finanzkrise, Geschichte in Gang kommt.
 Dann gerät das System unter enormen Stress.
 Drittens schließt es nicht aus, das sagt auch Fukuyama, dass die liberale Demokratie selbst in eine Krise kommt. Weil es zur Entpolitisierung kommt, sowas wie Langeweile. Es fehlt der grundsätzliche Meinungsstreit. Vielleicht bringt das die Geschichte in Gang.
Wie kann man den Kapitalismus in dieses System, dieses bestehende Arrangement einordnen? Sie haben mehrfach erwähnt, dass es so nicht weitergehen kann.
Auf der ideologischen Ebene haben wir die Delegitimation des Staates erlebt. Die Frage, wie schaffen wir ein noch besser ausgebildetes Arbeitskräftereservoir, das wir dann in 20 Jahren haben. Das kann das kapitalistische System nicht beantworten. Das ist außerhalb des unternehmerischen Horizonts. Diese Delegitimation ist vorbei, weil der Staat die Banken gerettet hätte und damit den vollständigen Zusammenbruch verhindert hat.
Die Frage war eher, wie sieht das neue System aus?
Was weiß ich …
… Sie werden eine Idee haben .
“The Best-Case-Szenario“ unter den realistischen Bedingungen sieht so aus:
 Ein Großteil der Finanzinstitutionen ist verstaatlicht und wird langfristig wieder privatisiert; allerdings nicht wie heute, sondern zu staatsnah geführten Privatwirtschaften. Deren Handlungen sind in etwa so eingeschränkt wie die eines Öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
…der ja auch gerade auf die Pleite zusteuert.
Ich meinte, dass er nicht nach den Regeln eines privaten Kommerzfernsehens arbeiten muss.
Man kann Banken so regulieren, dass sie kaum Handlungsspielraum haben.
Ist das noch Kapitalismus?
Ja, natürlich, da muss man undogmatisch sein. Orthodoxes Denken hat da keinen Sinn. Es will ja niemand eine Reifenfabrik verstaatlichen.
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Finanzsystem und den normalen Güterproduktionen im Bezug auf Kapitalismus.
 Banken agieren überhaupt nie nach privatwirtschaftlichen Kriterien – und das wissen sie auch noch. Das führt zu StÖrungen im System. Banken wissen, wenn sie einigermaßen groß sind, kÖnnen sie nicht bankrott gehen, weil sie das System in den Abgrund reißen würden – also haben sie eine implizite Staatsgarantie. Mit dieser Garantie im Rücken kann ich natürlich viel mehr riskieren. Das ist eine systemische Fehlkonstruktion, die sich nicht lÖsen lässt.
Auch nicht mit Verstaatlichung?
Nein. Der wesentliche Punkt ist ein Regularium, das unverantwortbare Risiken ausschließt. Bis in die 80er Jahre gab es sowas und den Banken wurde sogar vorgegeben, wie hoch die Zinsen für ein Sparbuch sein dürfen.
Der Staat soll also nicht verstaatlichen, sondern nur Richtlinien vorgeben?
Ja, langfristig muss es solche Richtlinien geben.
 Kurzfristig müssen die amerikanischen und britischen Banken, die ja de facto alle insolvent sind, nationalisiert werden. 
Die Österreichischen und deutschen Banken sind noch nicht insolvent, sind aber durch irre Rückkoppelungseffekte gefährdet. Das Abziehen von Investitionen in Osteuropa führt dazu, dass in diesen Ländern die Konjunktur zusammenbricht. Das wiederum führt dazu, dass ganz normale Kredite zu faulen Krediten werden kÖnnen. Und dann kÖnnen auch Österreichische Banken insolvent werden.
Also kurzfristig wird verstaatlicht, langfristig wird eine Privatisierung mit starken Regularien durchgeführt. Symbolisiert dieser Vorgang das einzig Notwendige, um das neokonservative System, wie Sie es kritisieren, abzuschaffen?
Natürlich nicht. Dazu gehÖrt eine ganze Reihe an Vorgängen.
Ein paar Schlagworte…
Es braucht eine Idee, wie eine gerechte Gesellschaft organisiert gehÖrt. Diese Ideen gibt es, aber sie waren bis jetzt weitgehend delegitimiert, weil man jahrzehntelang getrommelt hat, dass Gesellschaften, die einen starken Öffentlichen Sektor haben, der sich um viele Dinge im Leben seiner Menschen kümmert, etwas Schlechtes sind. Ein Staat, der sich darum kümmert, dass es ein ordentliches Bildungssystem gibt. Ein Staat, der sich darum kümmert, dass es ein ordentliches Sozialsystem gibt. Dieser Staat wurde als verweichlicht dargestellt, da er Konkurrenz ausschaltet. 
Diese Basisideologie besteht weiterhin und ist mit dem Zusammenbrechen der Märkte und der Obama-Wahl noch nicht erledigt. Man muss sie weiterhin auch ideologisch bekämpfen. 
Insofern ist mein Buch weiterhin aktuell, da es in einem Rahmen geschrieben ist, der jetzt erst hoffentlich in Gang kommen wird.
Welche politischen Kräfte sollen in Europa dafür sorgen, dass wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen stärker forciert werden, als es bis jetzt der Fall ist? Wer soll Ihre Forderungen umsetzen?
Mir ist es egal, wer das durchsetzt. Natürlich wäre eine moderne linke Kraft, die so etwas macht, sehr schÖn. Das sind im europäischen Kontext im Moment nicht die Sozialdemokraten, die im Inneren sehr sklerotisch sind. Es sind auch nicht die Grünen, die noch immer eine kleine Milieupartei sind. Und es ist auch nicht die deutsche Linkspartei, die zwar positive, aber auch sehr negative Seiten hat. Ein Vorbild kann mit Sicherheit die Obama-Bewegung sein. Barack Obama war zwar der Kandidat der Demokratischen Partei, aber in das Weiße Haus wurde er durch eine Volksbewegung gespült, die im Wesentlichen von jungen Leuten getragen war. 
In den letzten Monaten haben auch einige Konservative ihre Politik verändert, da einfach der Schalter umgelegt wurde und es klar ist, dass man keine konservative Politik mehr machen kann. Sarkozy wollte Frankreich liberalisieren und zu einem europäischen Amerika machen – heute ist er der grÖßte Keynesianer der Welt. Auf wirtschaftlicher Basis ist Sarkozy nun vielleicht gemäßigt.
Wohlfahrtssysteme installiert er aber auch nicht in großem Ausmaß.
Naja, er ruiniert sie zumindest nicht so, wie er es vielleicht vorgehabt hat.
 Bis zu einem gewissen Grad machen also auch die Konservativen die richtige Politik.
Deutschland müsste man da wohl noch rausnehmen…
Deutschland ist ein bisschen seltsam.
Wer ist das nicht? Vielen Dank Herr Misik, für das Gespräch.