michaelthurm

Mutter Courage

Das Portrait ist für FALTER Nr. 48/10 entstanden und hat dort den Titel: „Mutter Courage und ihre Kinder“
Nur ein schmaler Gang führt durch die applaudierende Menge. Erstklassler quetschen sich jeweils zu zweit auf die Stühle, die fünften Klassen müssen stehen. Mitten hindurch geht Elisabeth Fleischmann, die Direktorin der Graz International Bilingual School (Gibs). Zierlich und überwältigt vom Applaus ihrer Schüler und Kollegen.
Um ihrer Direktorin nach 19 Jahren zu danken und sie in die Pension zu verabschieden, haben Lehrer und Eltern eine Abschiedsfeier auf die Beine gestellt, die Fleischmann sprachlos macht. Die Tränen verbirgt sie hinter ihren Händen, und auch alte Weggefährten sind gerührt. In der ersten Reihe sitzen Alt-Bürgermeister Alfred Stingl, Schulinspektorin Marlies Liebscher und die Gibs-Väter Peter Bierbaumer und Werner Kristoferitsch. Der Englischprofessor und der Direktor des Pestalozzi-Gymnasiums hatten vor zwanzig Jahren die Idee zur ersten bilingualen Schule in Österreich, angeblich beim Saunagang.
Hier im großen Saal der Minoriten wird nicht irgendeine Direktorin in den Ruhestand verabschiedet: „Lisi“ Fleischmann ist die Mutter der Gibs. Eine Pionierin der Schulentwicklung, die schon früh umgesetzt hat, was anderswo noch in der Schublade mit den theoretischen Schulkonzepten lag. Wie gut das Konzept war, entdeckten bald viele Eltern, vor allem aus den bildungsnahen Schichten – und schickten ihre Kinder auf die Gibs. Das brachte der jungen Schule schnell den Ruf ein, eine Eliteschule zu sein.
Ein Vorwurf, auf den Elisabeth Fleischmann empfindlich reagiert. Sie will nicht, dass ihre Schüler als Elite gesehen werden oder sich gar selbst so sehen. In ihrer Umgebung sind sie Normalität. Fleischmann geht es nicht um Elite. Aber die Leistungen, die von ihren Schülern verlangt werden, die Selbstverständlichkeit eines hohen Bildungsanspruchs, die führen zu Qualität. Und das wirkt in einer sonst kaputt gesparten und lang vernachlässigten Bildungslandschaft elitär.
Fleischmann selbst hatte schon als zehnjährige Schülerin einer Linzer Mädchenschule die Gelegenheit, einen Monat nach England zu gehen. „Meine Eltern haben das mÖglich gemacht und das war schon prägend für mich. So prägend, dass sie sich 1991 bereit erklärte, als Direktorin der ersten englischsprachigen Schule in Österreich zu arbeiten. Zuvor hatte sie in Wien und Graz Englisch studiert und Erfahrung mit alternativen Schultypen gemacht: Sowohl die alternative Volksschule Rheinthal als auch die Modellschule Graz wurden von ihr gegründet. Dann kam das Experiment bilinguale Schule. Englisch als Unterrichtssprache in allen Fächern, außer in Deutsch und anderen Fremdsprachen.
Die ersten Jahre der Gibs waren nicht einfach, aber mit etwas mehr als siebzig Schülern durfte das Projekt innerhalb der Pestalozzischule starten. Drei Jahre später zog die Gibs dann als eigenständige Schule in ein renovierungsbedürftiges Gebäude in der Marschallgasse. Bis dort mitten im Unterricht ein Fenster herausfiel. Eltern und Schüler gingen auf die Straße, und dank Fleischmann’scher Beharrlichkeit fand man endlich GehÖr bei der Politik: Das Gebäude wurde renoviert. Doch bereits zehn Jahre später wurde es wieder zu eng; zuletzt mussten zwei Klassen in Containern im Hof der Minoriten unterrichtet werden – zu viele Eltern wollen ihre Kinder auf die Gibs schicken. Mit der Pädagogischen Hochschule in Eggenberg war zwar ein potenzielles Gebäude vorhanden, nur war die Politik anfangs nicht bereit, die Kosten von zehn Millionen Euro zu übernehmen. Daraufhin kündigte der FÖrderverein sogar an, das Gebäude notfalls zu kaufen und dann zu vermieten. Auch das zeigt, welche soziale Schicht hinter der Gibs steht.
Am Ende konnte das Bildungsministerium doch überzeugt werden, die Kosten für die neue Schule zu übernehmen, auch wenn Fleischmann den mühsamen Kampf bedauert: „Bei einer Schule, die sich engagiert, hätte ich mir einen anderen Zugang von Beamten und dem Ministerium gewünscht.“
Mit Beginn dieses Schuljahres konnte schließlich die alte Pädagogische Hochschule in der Georgigasse bezogen werden. Zum 1. Dezember übergibt Fleischmann Gebäude, Amt und Zepter an ihre vorerst interimistische Nachfolgerin Imelda GÖrÖg. „Es sind große Fußstapfen“, bekannte sie am Ende von Fleischmanns Verabschiedung.
Zu dieser haben sich auch noch zwei ehemalige Schüler eingefunden. Bei ihrer Einschulung 1996 haben sie gar nicht recht gewusst, auf welche Schule sie da kommen. Gedanken an Selektion oder Elite spielten bei ihnen keine Rolle. „Damals war das noch mehr eine Multikulti-Schule. Heute sind es wohl mehr Akademikerkinder“, beschreibt einer der Ehemaligen. Das liegt wohl auch daran, dass inzwischen vor allem Akademiker entdeckt haben, dass ihre Kinder an der Gibs lernen kÖnnen, was sie selbst für wichtig halten. Im letzten Jahr haben 200 Eltern ihre Kinder angemeldet, Platz war nur für 74 von ihnen.
Frau Fleischmann, kommen Kinder aus dem Griesviertel überhaupt zu den Bewerbungs-Interviews?
Elisabeth Fleischmann: Es ist schon so, dass aus bildungsfernen Schichten weniger Kinder zu uns kommen. Aber wenn die Noten passen, versuchen wir diese Kinder zu nehmen. Aus dem Gries sind das im Moment sicher nicht viele, aber wir kÖnnen uns nicht um alle kümmern.
KÖnnten nicht zu den englischsprachigen Native Speakers auch ein paar türkische kommen?
Fleischmann: Naja, wir nehmen natürlich bevorzugt englische Native Speakers auf. Bei türkischen Kindern ist es zuerst wichtig, dass diese ihre Muttersprache gut lernen kÖnnen, damit sie dann auch gut Deutsch lernen. Das kÖnnen wir nicht alles abdecken.
Sehen Sie keine Gefahr, dass sich Parallelgesellschaften entwickeln?
Fleischmann: Ich glaube überhaupt nicht, dass man aus der Schule der Zehn- bis 14-Jährigen eine Einheitsschule machen sollte. Das muss alles im Kindergarten passieren, und zwar ganz massiv. Dann noch in der Volksschule, aber danach ist alles gelaufen, da ist es zu spät.
Aber die Bildungs- und Chancenunterschiede zwischen Kindern an Ihrer Schule und an einer Neuen Mittelschule mit vielen Migranten sind enorm.
Fleischmann: Ja, das sind sie. Aber ich sehe das nicht als meine Aufgabe. Die ist, hier an der Schule so gut wie mÖglich zu arbeiten. Die Probleme, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten den Sprung nicht schaffen, die kann ich hier nicht lÖsen.
Warum besteht so eine Skepsis gegenüber „Eliteschulen“?
Fleischmann: Die haben Sie und einige andere. Ich will nicht, dass unsere Schüler glauben, dass sie etwas Besonderes sind.
Sie kann sich nicht um alles kümmern – und es fällt schwer, ihr einen Vorwurf daraus zu machen. Fleischmann hatte nach dem Auszug aus der Marschallgasse sogar die Idee platziert, dort eine bilinguale türkisch-deutsche Schule zu entwickeln. Doch das wurde von niemandem aus der Politik aufgegriffen. „Weil es niemanden interessiert, sich niemand engagiert. Das sind ja alles Sandler“, flüstert sie etwas resigniert und lässt noch einmal etwas davon aufblitzen, was einige an ihr fürchten. Und viele bewundern.