michaelthurm

Mein Monat – März

Im März wurde vor allem gewählt und gemordet. Dagegen sollen Gesetze und Schulnoten helfen: Früherziehung und Bestrafung. Vielleicht fehlen uns gerade deswegen die Eier. Oder umgekehrt. Wer kann die Kausalitäten unserer Zeit schon durchblicken?

War das wieder knapp, diesen Monat. Die Uhr ist noch nicht mal richtig auf Sommerzeit gestellt, da ist der Monat schon vorbei. Was haben wir gelitten. Mit den Schlecker-Frauen, mit der FDP, mit den Juden und, wie immer, mit uns selbst. Wie soll man noch für all diese Heterogenitäten, die ja auch nur Menschen sind, Mitleid haben; oder Empathie, das ist sicher noch besser. Unser limbisches System war und ist gefordert und einzig der deutsche Bundesrat hatte Zeit – trotz permanent stattfindender Bundespräsidentenwahl – und Muße, die entsprechende Sachlichkeit in alle nie geführten Debatten zu bringen. Das Ergebnis: Ein Gesetzesentwurf gegen Hasskriminaltät.
Ein Mord aus Hass soll auf Wunsch meines Bundesrates künftig härter bestraft werden als Morde aus Eifersucht. Oder aus Langeweile. Denn Hass wird nicht toleriert; und wenn er zum Mord führt, dann erst Recht nicht. Merken Sie sich das, falls Sie mal in Versuchung kommen: Niemals aus Hass morden! Das ist nicht gut. Vor allem nicht für die Opfer. Egal, wer nun das Opfer ist. Hat sich eigentlich schon jemand mit der Frage befasst, ob die Ermordung eines Juden immer antisemitisch ist? Oder ist sie einfach nur abartig? Nicht, weil es Juden trifft, sondern immer Mitmenschen? Und ist allein diese Frage nicht schon antisemitisch genug, um mich selbst zum Schweigen zu bringen? Sind die Ermordungen von Christen nicht ohne jeden Vergleich mindestens genauso grausam, wie Morde wegen eines Stückes Brot in südafrikanischen Slums? Und wen wollen wir verantwortlich machen? Wir alle sind Täter. Und zwar nicht nur, weil ich ein Deutscher bin. Pars pro toto – ohne Rücksicht auf die Grammatik.
Aber in unserer überaufgeklärten Gesellschaft geht es zum Glück nicht in erster Linie um Opfer, sondern um Täter – werfen Sie nur einen Blick in die Tageszeitungen. Tagelang werden sie auf den Titelseiten abgefeiert, die Antihelden unserer verkorksten Gegenwart. Und zwei Wochen später üben die Medienwissenschaftler aller Universitäten und Universitätinnen dann Medienkritik auf den berührend unberührten Seiten des Feuilletons. Vielen Dank, bis zum nächsten Mal. Die Chronik hat immer noch eine Seite mehr, die beschrieben werden muss. Und dann kommen wir von New York über einen Umweg beim Deutschen DÖnerstand nach Oslo und Toulouse. Von den Organisierten zu den Einzelgängern, zu den Rechtsradikalen, Linksradikalen und Religionsfanatikern. Die gehÖren alle in den gleichen Topf und den müssen wir halt aushalten. In unserer Mitte. Weil wir trotz aller Toleranz noch nicht tolerant genug sind, die Intoleranz zu integrieren. Und dagegen wehren kÖnnen wir uns erst recht nicht. Mit und ohne Vorratsdatenspeicherung. Einer dreht immer durch. So traurig das ist.
Und wenn einer durchdreht und anfängt Menschen zu erschießen, ist es mir erstmal relativ egal, ob es Türken, Juden oder Arier sind. Gut, bei Kindern hab ich etwas mehr Mitleid, als bei alten Männern, aber das lässt sich biologisch begründen, nicht ethisch. Sonst ist es relativ egal, wen es erwischt, weil wir uns nicht aussuchen kÖnnen, wen die Verrückten umbringen. Und erst recht nicht, wer, warum anfängt durchzudrehen. Aber dank meines Bundesrates sind vor dem Gesetz bald nicht mal mehr alle MÖrder gleich.
Und wenn nicht alle MÖrder gleich sind, dann erst Recht nicht alle MassenmÖrder. Verrückte gibt es überall und die globalen Antihelden der Stunde heißen Assad und Kony. Vornamen irrelevant. Sie – darauf hat sich der Meinungsmainstream unter Berufung auf alles, was sich unabhängig nennt, geeinigt – schlachten die BevÖlkerung ab. Das fällt allerdings nicht unter Hasskriminalität, sondern unter VÖlkermord. Also zumindest wenn sich der Menschengerichtshof und die Uno irgendwann einmal zu einer Entscheidung durchringen kÖnnen oder kÖnnten und diese Entscheidung dann mit dem längst gefällten Urteil von uns, die wir ja alle Menschen aus dem wirklichen, echten und guten Leben sind, übereinstimmt. Aber vielleicht ist die Welt da auch nicht so einfach, wie ich und wir sie gerne hätten. Ich war nie in Syrien und zahle schließlich genug Steuern, damit die Außenministerien dieser Welt solche Probleme in den Griff bekommen.
Eine quasi „prophylaktische“ Maßnahme gegen Menschenhass und seine Folgen hat es in die unbedeutenden Schlagzeilen eines Grazer Gratisblattes geschafft. Dort ging es um eine hiesige Schule, an der Noten für den Umgang mit „kulturellen Unterschieden“ gegeben werden. Damit soll das Verhalten der Schüler, die anscheinend aus allerhand verschiedenen Ländern kommen, verbessert werden. So wie mit Deutschnoten halt irgendwie das Deutsch der Schüler verbessert und mit Sportnoten deren Bewegungsbereitschaft erhÖht werden sollen. Soweit, so klar. Der Herr Landesschulratspräsident Wolfgang Erlitz und der Herr Bezirksschulinspektor Wolfgang Schnelzer – zwei Männer also, die ihre langweiligen Vornamen damit kaschieren müssen, dass sie tolle Ämter innehaben – diese beiden Wolfgangs also, finden eine Benotung solcher Art „ungeschickt“ bzw. „nicht aussagekräftig“. Das schreibt zumindest das Gratisblatt.
Nun bin ich, der 1999 seine erste »Drei« im Schulfach „Betragen“ bekam, der Letzte, der für Noten im Allgemeinen und für Verhaltensnoten im Speziellen irgendetwas übrig hätte. Allerdings hat mein zehn Jahre dauernder Kampf gegen dieses SYSTEM ebenso wenig gebracht, wie es wohl mein andauernder Kampf gegen das Steuersystem bringen wird. Noch mehr als gegen Schulnoten bin ich allerdings gegen jene Uniformitätsgedanken, die nicht nur unsere beiden Wolfgangs, sondern auch weite Teile des Schulverwaltungssystems samt angeschlossener Zivilgesellschaft ständig in die Tat umsetzen wollen. Diese dümmliche, aber eben nur allzu menschliche Lust daran, alles richtig und alles gleich richtig haben zu wollen. Ein Jeder und eine Jede will halt das durchsetzen, was er oder sie für richtig hält. Ist ja nur verständlich. Auch ich bin in dieser Hinsicht ein kleiner Diktator.
Ich saß mal für eine Reportage im Islamunterricht einer solch nationenträchtigen Grazer Schule. Es ging mit einem kurzen Gebet los und mitten in dieses Gebet stürmte ein verschusselter Mitschüler schwärzester Hautfarbe, weil er seine Federtasche vergessen hatte. Der Lehrer unterbrach sein Gebet und einer der Schüler, der jetzt nicht gerade sonderlich tief darin versunken war, rief laut: „Mogli, mach hin“. Nun war Mogli (original: Mowgli) nicht der Name des Verschusselten, sondern die offensichtlich kindliche Adaption zum »Neger«. Auch sympathisch, aber schade um Mogli, Balu und Baghira, denn das Dschungelbuch ist, soweit ich weiß, noch frei von Rassismusvorwürfen. Aber weiter mit der kleinen Anekdote: Der Lehrer, dessen Hauptaufgabe ja die Disziplinierung junger Geister ist, pfiff in diesem Fall aber nicht den ungläubigen Neger an, denn der war sehr nett und halt nur ein bisschen schusselig, sondern eben jenen, der sein Gebet unterbrochen hatte, um zu beleidigen. „Du musst wissen, dass das Gebet ein Moment der Ruhe ist.“ Das saß. Zumindest für drei Sekunden. Denn dann war das, wie alles andere auch, was an diesem Schultag hätte gelernt werden sollen und gelernt werden kÖnnen, wieder vergessen.
Wenn an solch einer Schule nun täglich mit »Fuck your mother« gegrüßt wird, wie es der Schulleiter im Gratisblatt beschreibt, dann ist diese Benotungsidee doch wenigstens der systemimanente Versuch ein Problem zu „behandeln“. Und mehr als einen Versuch kann man in einem solchen Fall auch gar nicht verlangen. Es sei denn, man unterstellt frühkindliche Hasskriminalität; und das kann ja auch niemand wollen. Der kleine Kevin wird sich nun aber wahrscheinlich nicht durch eine »Vier« im kulturellen Betragen davon abbringen lassen seine Banknachbarin mit dem Kopftuch zu beleidigen und diese sich wiederum nicht davon, ihm eins mit ihrem Hello-Kitty-Lineal überzubraten. Aber vielleicht haben die beiden irgendwann keine Lust mehr sich von Lehrern ihr Verhalten benoten zu lassen und schließen eine interkulturelle Allianz gegen dieses vertrottelte Schulsystem. Und zwar ohne die beiden Wolfgangs. So stell ich mir das halt vor. In meiner heilen Welt.
Irgendetwas ist auch wieder mit Griechenland passiert. Ganz und gar nicht heile Welt. Dort wurde diesen Monat der entscheidende Schuldenschnitt vollzogen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich weder davon noch von eventuellen Konsequenzen auch nur einen Lufthauch gespürt hätte. Ich hoffe, den Griechen geht es da anders, aber bestätigen kann ich es nicht. Ich kenne sie nicht, die Griechen. Ich kenne auch keine Gläubiger der Griechen. Mein Pensionsfond ist ein schwarzes Loch und meine einziger Draht zu dieser Parallelwelt ist die Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dort schreibt ein Redakteur, der selbst griechische Staatsanleihen gekauft hat, über sein Elend – gibt es aber mittels unverschämter Versandkosten gleich an mich treuen Auslandskunden weiter. Aber gut, meine Kanzlerin hat ja gesagt, dass jeder seinen Beitrag leisten muss. Ich sehe das ein.
Ebenfalls einzusehen ist der bevorstehende Mangel an Eiern, denn an diesem sind wir alle selbst schuld. Bereits letzten Monat habe ich auf die viel zu früh gelegten, gefärbten und verkauften Ostereier hingewiesen – jetzt sind es vor allem die Verarbeiter von so genannten Industrieeiern, die feststellen, dass es immer teurer wird, Eier zu haben, denn der Mangel an Eiern treibt den Preis der verbleibenden Eier in die HÖhe. So funktioniert das in unserer guten alten Marktwirtschaft. Und wer Nudeln will, braucht Eier. Nur eine Minderheit weiß, in Österreich nur eine autochthone Minderheit, dass man Nudeln auch ohne Eier haben kann. Teigwaren, Eierteigwaren, … das ganze Programm kann unmÖglich ein Einzelner überblicken. Oder eine Einzelne. Haben doch beide Geschlechtsindividuen in jedem Fall nur zwei Eier.
Schuld am Eiermangel ist wie immer „die EU“, die „in Brüssel“ unter dem Diktat der Eier- und Hühnerfreundlichenlobby beschlossen hatte, dass Legehennen nicht mehr im Käfig gehalten werden dürfen. Was ja per se nicht so schlecht ist. Nur hat sich die Bereitschaft, mehr Geld für weniger Ei zu zahlen, noch nicht ganz so durchgesetzt wie die Eierlobbyisten und Lobbyistinnen es gerne hätten. Mehr zahlen will nämlich überhaupt niemand. Nicht beim Tanken, nicht für Demokratie und erst recht nicht für Eier.
Es verdichten sich also tatsächlich alle wesentlichen Probleme im Eigelb: Die Eurokrise, die Korruption, der Ärger um die Europäischen Institutionen, die Globalisierung, der Terror und auch das demographische Problem. Mehr Eier würden wohl all unsere Probleme lÖsen.
Also: „Mehr Eier wagen“!
Nur der neue Bundespräsident Joachim Gauck hat das in seiner Rede über die Freiheit von der Freiheit nicht erwähnt und damit automatisch das erste Bein zum Rücktritt gehoben. Hat Claudia Roth einen solchen eigentlich schon gefordert? Oder wenigstens Eva Glawischnig? Grenzübergreifende Grüne. Grünen übergreifende Grenzen – es ist Frühling. Treten Sie beim Rücktritt nicht auf den Rasen. Und niemandem in die Eier. Treten Sie an. Zapfenstreich für alle. Zumindest für alle, die noch Eier haben.