michaelthurm

Mein Monat – Juli 2012

Mit jedem Tag wächst die Zahl der Dinge, die unter meiner Würde sind. Mit jedem Monat reift die Erkenntnis, dass dadurch noch lange nichts, vom dem was ich trotzdem mache, besser werden würde. Deshalb tue ich, je älter ich werde, immer weniger. Grundsätzlich halte ich das für eine sowohl logische als auch schÖne Tatsache. Ich weiß nur noch nicht, ob das glücklich macht. Mich, oder irgendwen, der es verdient hätte.
Dafür habe ich jetzt etwa ein Viertel Jahrhundert gebraucht. Und mindestens die letzten drei Monate. Nur um mich dann nächste Woche wieder mit den bescheidenen Fähigkeiten von Baumärkten auseinanderzusetzen, wie sie denn meinen Individualisierungswünschen entgegen kommen.
Und fast hätte ich etwas vergessen.
Deutschland wurde nämlich mal wieder nicht Europameister. Österreich auch nicht. Und das ist alles gerade einen aufregenden Monat her. Aber wir haben zum Glück noch andere Sorgen. Dass nämlich sowohl Österreich als auch Deutschland keine großen Olympiasieger werden. Aber was brauchen wir schon Sport, so lang wir noch über das Wetter reden und schimpfen kÖnnen …
Inzwischen traue ich mich kaum noch aus dem Haus, weil man entweder nass vom Schweiß oder nass vom Regen wird; und weil der Regen auch nicht mehr das ist, was er einmal war – er stinkt nämlich so ein bisschen nach Bioladen – macht das Nasswerden keinen Spaß. Aber die Menschen, alle Menschen die ich kenne, alle laufen in kurzen Hosen herum und wenn sie Bürgermeister sind, lassen sie sich auch noch so fotografieren, damit sie noch mal Bürgermeister werden kÖnnen. Ich kann das ja nicht verurteilen, ich weiß ja auch, dass es warm ist und dass man trotzdem noch Nähe zeigen soll. Nähe zum Volk, auch wenn keiner mehr weiß, wer und was das ist: Das Volk.
Wahrscheinlich irgendeine Vereinigungsmenge von “Linken” und irgendwie “beschäftigten Menschen”. “Nichts” kann ich mehr ohne ironisierende Anführungszeichen schreiben, mit nichts und niemandem mehr etwas anfangen und noch weniger aufhÖren. Was auch? Wozu auch? Wer beschäftigt ist, beschäftigt sich ja mit irgendetwas, statt etwas zu tun. Ich bin mir zwar nicht sicher, wie groß der Unterschied ist, aber sich seiner selbst noch irgendetwas sicher zu sein, wäre ja schon eine Frevel am Jetzt. Es sei denn, man ist Zeitungskolumnist oder Zeitungskolumnenleser oder halt “Linker”. (Stellen Sie sich nur für eine Sekunde vor, ich hätte dieses Satz gegendert, geschlechtsneutral formuliert oder so …)
Als Teil einer solchen gesellschaftlichen Elite darf man so ziemlich alles, solang man sich eben seiner selbst sicher ist. Sicher im Tonfall und konsequent in der Haltung. Alles andere wäre bereits unzumutbar in einer unzumutbaren Zeit. Und jene Zeit, in der man als Linker kein Hirn hatte, ist noch nicht vorbei, sie fängt immer wieder von vorn an.
Da kommt es dann gelegen, wenn “die Rechten” “überall” “korrupt” sind und sich auch noch erwischen lassen. Zu wem soll und will man denn da noch dazugehÖren? Alle Ideologien sind vermietet und verpachtet an Leute, mit denen man Dank eines letzten, wohl trügerischen Restes an Menschenkenntnis nichts zu tun haben will. Das gilt leider auch für all die nervigen Anti-, Post- und Nichtideologen. Pragmatiker sind um keinen Deut besser – worin auch immer sich der Deut bemisst – weil sie, wie alle Eliten dieser Welt ihren Pragmatismus für das einzig „Richtige“, „Gute“ und „Wahre“ halten. Aber sollen sie machen. Ich gefalle mir weiterhin im Ungefähren. Das hat die letzten fünfundzwanzig Jahre auch funktioniert. Egal bei welchem Wetter.
Deshalb will ich mich auch nicht wirklich auf die Diskussion um die Beschneidung von Kindern einmischen. Ich war sogar recht froh, dass offensichtlich die meisten Beteiligten (die ich halt auf meinem eingeschränkten Zeitungs-, Internet- und Fernsehradar wahrnehme) einige vernünftige Argumente hatten und der Deutsche Bundestag mal wieder eine ebenso vernünftige Debatte geführt hat. Dass ein Gesetz natürlich nicht alle Widersprüche ausräumen kann, dass es nicht alle individuellen und elitären Interessen berücksichtigen kann, ist den meisten die darüber zu entscheiden haben doch bewusst. Und das ist doch schon mal etwas wert. Auch wenn ich wieder mal nicht weiß, was.
Da hilft auch das entdeckte Higgs-Boson, dieses kleine, sympathische Gottesteilchen (ohne Anführungszeichen), nicht weiter. Und das ist natürlich eine große Enttäuschung. Ãœberhaupt scheint die grÖßte Erkenntnis durch dieses Teilchen darin zu bestehen, dass es eben existiert. Mit einer Sicherheit von 5,0 Sigma – das ist die Einheit für wissenschaftlich fundierte Wahrheiten. Nie war die Wahrheit so poetisch. Es wirft zwar die Fundamente unserer Welt durcheinander, aber es ändert sie nicht. Aber so war das mit der Erkenntnis, dass die Erde nicht Mittelpunkt des Universums ist wohl auch. Und weil wir eben nicht das Zentrum der Welt, der Welten und so weiter sind, kÖnnen wir uns getrost mit dem Trivialen befassen.
Nachdem die Deutschen also trotz Sommer und Sommerregen nicht Europameister wurden; weil halt von 40 Millionen besseren Bundestrainern ausgerechnet Joachim LÖw die Aufstellung festgelegt hat, haben nun alle Spieler aufgehÖrt die Hymne zu singen. Das war das Minimum an politischem Protest, das man sich von so einer Unrechtsveranstaltung in einem solchen Schurkenstaat erwarten konnte. Olympia ist da längst weiter. Dort wird Hymne um Hymne gespielt und niemand singt. Und keiner beschwert sich darüber. So sieht Weltfriede aus.
Soll ich jetzt noch etwas über Katie Holmes und Scientology schreiben? Oder darüber, dass meine mehrstündige Suche im Österreichischen Parlament nach einem Satz, der aus Subjekt, Prädikat und Objekt bestünde, erfolglos war?
Nein. Wenn es schon keine Grenze nach unten gibt, kann ich zumindest, wie diese olympisch austrainierten Pferde, die gerade über den Londoner Rasen gejagt werden, den Reiter, der ja Sie als Leser sind, abwerfen. Ich komme auch so weiter, viel weiter. Mindestens bis in den August. Da kann mir niemand was. Sie nicht. Die Krise nicht. Und das Wetter erst recht nicht.