michaelthurm

Mein Monat – April 2012

Den April sah man vor lauter Piraten nicht mehr. Ãœberall nur noch Grundsatzdebatten und Personaldebatten, Abgrenzungsdebatten und Parteiausschlussdebatten. Nach Berlin, dem Saarland und allen deutschen Talkshows hat es im April auch das allmonatliche Politbarometer erwischt. Platz drei in den Umfragen. Vor den Grünen. Und Piraten immer mit Wortspielen versehen. Jaja. Aber zum Thema und damit dazu, dass ich auch nicht mehr sagen kann, als dass ich die medialen Aushängeschilder der Partei recht sympathisch finde. Zumindest die Deutschen, den in Österreich hat gerade einmal ein einsamer Segler den Gemeinderat betreten und der ist auch nur so ein halber Pirat, weil nicht ganz einig mit dem eh noch relativ kleinen Rest der Grundsatzdemokraten. Zu dem kann ich also nicht viel sagen. Aber in Deutschland war bis vorgestern Marina Weisband das sympathische und mediale Aushängeschild der Piraten, seit dem Parteitag ist es ein Beamter mit Hut. Regierungsfähig und noch nicht mal im Parlament. Naja, ich scheine nicht der einzige zu sein, der das sympathisch findet. Nicht mal der einzige, der zugibt, dass sich mit etwas Mühe auch in anderen Parteien sympathische Personen finden lassen kÖnnten. Aber das ist ja gerade nicht so angesagt und darüber hinaus kommt es im Moment auch noch wahnsinnig gut an, seine Meinungen nicht ganz so genau zu begründen. Oder auch mal gar keine haben. Besonders schÖn macht das Christopher Lauer, auch ein sympathischer Pirat.
Und trotzdem muss und kann ich guten Gewissens und mit der grÖßten aller mÖglichen Distanzen zu allen -ismen rechts der Mitte feststellen: Irgendwas spricht auch gegen die Piraten. Und sei es nur die fehlende Abgrenzung zu den somalischen Piraten. Und natürlich der „Hype“ um die Piraten und die Aufregung über eben diesen Hype durch Leute wie meinesgleichen. Beides ist ziemlich borniert, aber so bin ich halt: ein bisschen borniert (bb). Und so will ich bleiben, weil ich mich nämlich vor allem dann mag, wenn ich so borniert bin. Auch wenn mir das jetzt nicht hilft, das Thema zu beenden oder zu wechseln oder dabei zu bleiben. Das Thema waren und sind nämlich die Piraten, falls Sie oder ich das inzwischen vergessen haben sollten. Und selbst wenn, ist es nicht schlimm, weil ich eh erst einmal abwarten werde, was diese Piraten jetzt so machen. Auf den Hinterbänken der Landtage und im Internet. Warten ist schließlich auch etwas Borniertes.
Gewartet wird auch auf die FDP. Comeback oder Todesstoß – mit jeder Wahl steigen die Quoten für Letzteren. Bei dem Thema bin ich zum Glück auch mal persÖnlich sehr betroffen, das muss hier gesagt werden und verunmÖglicht mir vÖllig nun auch noch gegen die FDP zu sein. Mein bester Freund ist noch immer Mitglied der FDP und da reicht es für meine Unabhängigkeit eben nicht, das ich nicht nur kein Mitglied bin, sondern ich muss sogar aktives Nicht-Mitglied sein. Also jemand, der gern in der FDP wäre. Oder gern gewesen wäre. Allerdings habe ich nach einer singulären Teilnahme an der Bildungs-Kreis-Ortsverbandsbeirats-Sitzung wieder das Weite gesucht. Dort wurde meine Forderung nach weitest gehender Schulautonomie (siehe März) – die Notfalls auch über die Abschaffung der Bundesländer durchzusetzen ist – abgelehnt. Mit der gut trainierten Begründung, dass sich dafür keine Mehrheit finden lassen würde. Und mir ist das mit dem Konsens schon damals nicht leicht gefallen, also blieb es bei diesem kurzen Ausflug ins deutsche Parteienwesen.
Aber das Weite ist ja immer noch relativ nah dran, an der FDP von heute. Weil die halt relativ klein geworden ist. Aber wie gesagt, ich bin da befangen und deshalb muss ich hier einmal feststellen, dass die FDP jetzt nicht so viel schlimmer ist als alle anderen Parteien, die mehr Stimmen bekommen. Und dann doch lieber Philip RÖssler als Renate Künast. Und lieber Leutheusser-Schnarrenberger als Lafontaine-Wagenknecht. Wenn schon Doppelnamen. Und immerhin eine Partei ohne Andrea Nahles und Claudia Roth. Und fragen Sie mich jetzt nicht, warum ich ausgerechnet von den Frauen in der Politik so genervt bin. Männer sind entweder gut oder machtlos. Frauen eloquent oder nervig. Männliche Macht scheint mir doch überwiegend an machiavellistische Intelligenz geknüpft, weibliche zu oft an schwarzer’sche Penetranz. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, aber ich brauche solche latent bestätigten Vorurteile immer Mal, um den Ãœberblick zu behalten und die Verklärungen, die diesen Ãœberblick erträglich machen, durchzuhalten.
Dabei würde ich sogar soweit gehen, mich für mehr Raucherghettos auf BahnhÖfen zu engagieren. Nicht, dass ich sonderlich viel für Raucher übrig habe, oder dafür, dass sie auf BahnhÖfen rauchen: Aber ich bin dafür, dass mehr Menschen mit der Bahn fahren und das Harald Martenstein an jedem noch so kleinen Bahnhof einen Ort findet, an und im dem er sich sicher fühlen kann. Dass wäre mir sehr wichtig und sollte ich einmal Chef der Deutschen Bahn werden, hoffe ich, dass dieses Internet wirklich nichts vergisst und mich daran erinnert.
Mit fällt allerdings in diesem Moment auf, dass ich trotz meines nunmehr über vier Jahre dauernden Aufenthalts in Österreich kaum noch etwas finde, worüber ich hier schreiben will. Nicht einmal jemandem, dem ich ein Raucherghetto widmen würde. (Na gut, meinem Chef, aber den kennen Sie vermutlich nicht.) Diese Austria-Ignoranz hat gar nicht so viel mit einem eventuellen deutschen Patriotismus zu tun, oder damit dass ich mich hierzulande nicht unbeliebt machen will. Im Gegenteil. Aber ich wüsste nicht wie und womit. Alles was hier debattiert wird, verschließt sich vÖllig meinen Anforderungen. Das wäre ja nicht schlimm, wenn es denn immer mal Dinge gäbe, die nicht gesagt werden dürfen. Aber es darf ja alles gesagt werden, außer das alles gesagt werden darf.
Gut, dass kÖnnte man von dem (deutschen!) Gedicht Günter Grass‘ (GGG;) auch sagen, denn das GGG ist ja auch so ein vermeintliches Aufbegehren gegen die vermeintlich grassierende politische Korrektheit. Aber wenn Sie mal einen Abend in einer Münchner Kneipe beim Fußball zubringen, dann wissen Sie, dass sie alles sagen dürfen. Ãœber Neger, Juden und Schwule. Niemand, wird sich von irgendeinem Mittelfeldpass ablenken lassen, um Ihnen das Maul zu verbieten. Ich war ja da. Zum Glück. Und ich hab auch nichts gesagt. Und das ist das viel grÖßere Problem, als die hochstilisierte politische Korrektheit, die nur noch einige Journalisten und Journalistinnen hochhalten, um genügend EmpÖrungsdynamik zusammen zu bekommen. Jeder darf sagen, was er oder sie will und keiner von denen die alles sagen, was sie sagen dürfen, wird mehr ernten als jene EmpÖrung, die eben nÖtig ist, um den debattensüchtigen Greisen aus Rundfunk, Literatur und Journalie ihr ungefragtes GehÖr zu verschaffen. Und dann kommt sich diese deutsche Feuilletonkultur so klug vor, so verdammt humanistisch gebildet, weil sie dem GGG seine poetischen Qualitäten abspricht oder es auch noch dialektisch filetiert, um es dann, also erst dann nach der eingehenden Untersuchung, die einem Litaraturnobelpreisträger halt würdig erscheint, mit kümmerlichen Fragen zu bombardieren:

Ist das überhaupt ein Gedicht?
»Nein. Ich sehe keine Reime. Gut, Reime müssen nicht sein. Gut, dann muss es Rhythmus sein. Nein. Gibt es nicht. Dann muss es das Vokabular sein, die WÖrter, die Melodie. Es muss irgendwas sein. Es ist schrecklich. Es ist poetisch gar nichts. „Mit letzter Tinte“. Das ist natürlich sehr gut.«

Wen interessiert das? Als wären wir in so einem partizipativen Deutschkurs der siebten Klasse. Nur einer hat verstanden was mit dem GGG zu tun ist: Benjamin von Stuckrad-Barre. Wenn Sie den nicht kennen, sollten Sie das ändern. Der Mann raucht zwar wie ein Schlot, aber sonst scheint er in Ordnung. Der dichtete den Grass einfach um, und zwar so wie es ihm passt: „Wie der Bauer mit den Schafen, will ich mit Inka Bause schlafen“ Damit sie das jetzt so lustig finden wie ich, müssten Sie sowohl die Folge von Stuckrad Latenight gesehen habe, als auch die Markus Lanz Folge in der eben dieser Stuckradt auf Inka Bause traf und die beiden … aber das würde zu weit führen. Thema! Wo ist das Thema?
Ãœber eben dieses haben sich also vor allem die Vereinigten Deutsche Literaturrentner (VDR) gefreut. Also alle, die sich noch nicht empÖrt hatten. Und die hatten genau genommen nicht eine Meinung, sondern gleich mehrere. Von Reich-Ranicki war das zu erwarten. Ralf Hochhuth hat noch zwei zitierfähige Schmähungen gefunden. Und Wolf Biermann; der lebt auch noch. Ich versuchte dann aus reiner Freude am Protest all die EmpÖrten in eine Facebookgruppe einzuladen, die politische Schlagkraft zu bündeln um, ja um …, aber irgendwie hat das nicht geklappt. Das lag aber wirklich an mir. Nicht an den alten Männern. Als Günter Grass dann auch noch Einreiseverbot für Israel bekam, war ich schon fast wieder bereit, Partei für seinen fehlenden Reim ergreifen zu wollen. Aber eben nur fast. Das wird man ja noch sagen dürfen. Ein Staat muss sich ja nicht alles gefallen lassen. Erst Recht nicht von einem Literaturnobelpreisträger. Da kann ja jeder kommen. Und jede. Was mich darauf bringt, dass ich noch einen Kommentar von Elfriede Jelinek zu ihrem Kollegen vermisse. Elfriede, empÖr dich!
Dieses Alte-Damen-und-Herren-EmpÖre (das nun wiederum auch in Österreich verstärkt zu bemerken ist) zwingt nämlich die jungen Rebellen, zu denen ich mich in meiner klischeehaften Borniertheit ja immer noch zähle, zu eben jener Anpassung, zu der wir ja längst gezwungen sind. (Daher mein ehrenamtliches Engagement für mehr Rauchergettos auf bundesdeutschen Bahnsteigen) Und aus der gleichen LUST an der Borniertheit folgt nun ein geiler Satz mit der Potenz zum Aphorismus:
Wenn EmpÖrung zur Gewohnheit wird, wird Opportunismus zur Pflicht.
So oder so ähnlich. Eat this, ihr 99 Prozent.
Was denken die denn, warum statt bunten Punkern plÖtzlich eine Generation von adoleszenten und androgynen Liedermachern Erfolge feiert? (Dann doch lieber Wolf Biermann) Die singen so schÖne Lieder, mit Texten, als wären tatsächlich nur Worte ihre Sprache, aber die Welt wird da keiner mehr verändern wollen. Nicht mal mehr die eigene. Aber warum auch? Statt dessen schreiben sie Songtexte, nenne sich Songwriter und wollen ein Lebensgefühl ausdrücken, wie andere einen Pickel. Ein bisschen eklig, aber danach fühlt es sich besser an. Die werden später alle genau so borniert wie ich. Und die Leute, die solche Musik hÖren, erst recht. Und keiner macht etwas dagegen. Nicht mal die Politik. Schon wieder eine verlorene Generation und schuld, ja schuld seid ihr. Ihr Piraten. Ihr Raucher. Ihr Dichter.
Und ein bisschen dann doch auch: Ihr Österreicher. Aber wie immer gilt auch da: Lieber das erste Opfer als der letzte Täter. Deshalb ist auch hier keine Debatte zu erwarten. Um was denn auch? Debatten brauchen jemanden der treten kann, etwas lostreten kann, aber dafür bräuchte es Eier und dass diese fehlen, haben wir ja schon letzten Monat festgestellt. Alles was sich hierzulande als Debatte tarnt, ist im Ausland geklaut oder von Beginn an absurd. (Treffen sich der Kanzler und sein Vize und wollen wieder Vertrauen in die Politik …)
Mir sind nur drei ernsthafte, sowie original Österreichische Probleme im April untergekommen: Wo bricht der Hitzerekord, wer wird NarzissenkÖnigin und wie endet das Wiener Derby. Und das Ergebnis spricht Bände. Null zu Null. Ein Land das sich zu Tode langweilt. Nicht einmal die seit zwei Wochen in Oslo stattfindende Verhandlung gegen den MassenmÖrder und Schauspielhaus-Helden Anders B. Breivik. Der Umgang der Norweger mit dem folgenschwersten Verbrechen ihrer jüngsten Geschichte zieht sogar dem hiesigen Boulevard den lebensnotwendigen Teppich der Skandale unter den blutverschmierten Füßen weg. Und wenn die norwegischen Richter, Staatsanwälte und Verteidiger mit dem ausstehenden Urteil über den Breivikschen Geisteszustand genau so souverän umgehen wie mit der Verhandlung, kÖnnte man fast von Hoffnung sprechen. Also Hoffnung für uns. Dass wir (pi mal Daumen) doch nicht ganz so deppert sind, wie uns der tägliche Wetterbericht und die anschließende Verlesung der Lottozahlen glauben machen mÖchte. Wenn, ja wenn. Aber darauf gibt auch meine Borniertheit noch keine Antwort.