michaelthurm

Im Schatten der Tuba

In Schladming findet jedes Jahr das grÖßte Blasmusikfestival Europas statt. Und kaum einer merkt es.

für Falter Nr.29 2010
Gedämpft klingen die schiefen TÖne einer südbÖhmischen Polka durch das Hotel. Der tiefe Klang der Tuba gehÖrt zu Christian Braun, der aus Bayern kommt und eigentlich Musikinstrumente verkauft. Aber wegen der unerträglichen Hitze verirrt sich kaum jemand zu ihm, und so sitzt er auf der dunklen Kegelbahn des Hotels und probt. „Hier stÖrt’s niemanden“, sagt Braun, der in einer der wenigen Hobbykapellen spielt, die beim grÖßten Blasmusikfestival Europas auftreten. Ãœber 2500 Musiker kommen jährlich zum Mid Europe nach Schladming, und trotzdem weiß kaum jemand außerhalb der Blasmusikszene, dass dieses Festival existiert.
Der Dirigent Johann MÖsenbichler ist heuer das zehnte Mal als Organisator und künstlerischer Leiter aktiv und kennt den Grund dafür: „Blasmusik gilt bei vielen als minderwertig.“ Dabei hat sie längst auch in der E-Musik und an den Universitäten ihren Platz, nur in den Medien wird laut MÖsenbichler weiter ein überholtes Klischee von Blasmusik gepflegt. Für Mid Europe haben sich Gruppen aus Asien und Europa beworben und wurden dann von MÖsenbichler und seinem Team ausgewählt. Nicht nach Genre, sondern nach Qualität, und so darf auch die „ehrliche Volksmusik“ nicht fehlen. Sie ist für MÖsenbichler ein mÖglicher und in der Steiermark oft entscheidender Weg zur Musik. Auch deshalb sind hier die steirischen Trachten ebenso häufig zu sehen wie japanische Schuluniformen und legere Freizeitkleidung.

Braun und seine Kollegen von der Postkapelle machen die hohen Ansprüche etwas nervÖs. „In Österreich sind uns die Musiker zwanzig bis dreißig Jahre voraus. Die Vereinsarbeit, die Tradition, die Ausbildung – je südlicher man kommt, desto besser wird im Allgemeinen die Qualität.“ Er spielt trotzdem in Schladming, wenn auch nicht wie die Profis im Konzertsaal, sondern unter der sengenden Sonne des Schladminger Hauptplatzes. Auf zwei Bühnen beleben die Bands für diese Woche das Straßenbild.
Während die Hitzegeplagten ihr Eis lÖffeln, ertÖnt plÖtzlich und hell ein Trompetenakkord. Die Youth Concert Band of Vác  beginnt ihr Konzert und übertÖnt das Gemurmel an den Tischen. Mehr als hundert Jugendliche aus Ungarn sind für diesen Auftritt nach Schladming gekommen. Ihre Interpretation von Tom Jones’ „Sexbomb“ klingt wie Max Raabes Palastorchester. Nur ohne Max Raabe, dafür zum Mitklatschen für das Publikum im Schatten. Nur die Musiker schwitzen in der prallen Sonne. Konzentrierte Gesichter hinter Sonnenbrillen, das glänzende Instrument an den trockenen Mund gepresst. Viktor hat Glück. Auch er spielt Tuba und kann sein Gesicht im Schatten des großen Trichters verstecken. Für ihn gab es eigentlich nur zwei MÖglichkeiten, Fußball zu spielen oder zu musizieren, und weil er beim Fußball zu oft verloren hat, ging er mit 13 zum Blasmusikunterricht. Beim Schlusslied „YMCA“ von Village People singt ein bierbäuchiger Fan und tanzt die berühmten vier Buchstaben. Die japanischen Gäste neben ihm zeigen sich entsetzt. Trotzdem fragen sie den Bierbäuchigen hÖflich, ob er Österreicher oder Deutscher sei.

„I’m from New Zealand!“, strahlt er und erklärt, dass er nur zufällig vorbeigekommen ist. Die Japaner lächeln und applaudieren freudig ihren TÖchtern, die soeben in braver Schuluniform der Dokkyo Saitama High School auf die Bühne stürmen. Die präzise  Emotionalität ihrer Musik klingt dann aber eher wie aus „KÖnig der LÖwen“ oder „The Dark Knight“ und nicht wie aus einem Teehaus.
Auch in der Dachsteinhalle steht die Luft. Unbeeindruckt davon lauscht Johann MÖsenbichler dem Preisträgerkonzert des Sinfonischen Jugendblasorchesters Wien. In perfekter Akustik und gedämpftem Licht werden die Werke junger Komponisten aufgeführt. Hier ist die hohe Klassik daheim, und das Publikum lauscht ihr andächtig. Darunter ist auch Daniel Weinberger, der mit seiner Komposition „subTerra“ den Kompositionswettbewerb gewinnt. Ob er abschätzig auf die „leichte Muse Volksmusik“ herabblickt? Nein. „Da kommen wir ja alle her“, sagt der 32-jährige Kärntner und verschwindet schnell wieder, um die vielen Glückwünsche entgegenzunehmen.