michaelthurm

Es muss dafür sein, wer dagegen ist

Dieser Kommentar erschien in der 70. Ausgabe des FAZIT unter dem gleichen Titel, aber mit minimalen Änderungen (PDF).
Jetzt ist er also da: der Text zum Bildungsvolksbegehren. Und kaum wurden aus den ewigen Worthülsen von „mehr Bildung“ und „bessere Bildung“ ein paar konkrete Forderungen, trennte sich die Spreu vom Weizen. Da konnten endlich jene, die schon immer gegen allzu viel Reformeifer waren, aufschreien und erklären, was im Volksbegehren alles fehlt und was alles zu viel darin stehen würde.
Und ein jeder hätte ganz selbstverständlich ein viel besseres Volksbegehren geschrieben; viel konkreter und viel differenzierter. Aber Hannes Androsch war der einzige, der überhaupt so weit gekommen ist, dass es einen Text gibt. Nach einer Bildungsdebatte, die seit Elisabeth Gehrer schwelt und inzwischen mehrere Generationen von Irgendwie-gehts-dann-doch-Schülern durch die Matura gebracht hat.
Nur jetzt, wo der Common Sense am grÖßten war, dass dieses „Irgendwie-gehts-doch“, dass dieses Gewurschtel doch nicht das Richtige ist, jetzt schrecken die großen Bildungsprediger zurück wie scheue Pferde.
Das grÖßte Manko des Volksbegehrens ist nicht etwa, dass die Studiengebühren nicht gefordert werden, wie es Bildungsministerin Beatrix Karl kritisierte. Es ist auch nicht das längere gemeinsame Lernen und die damit auf den Weg gebrachte Ganztags- und Gesamtschule. Die geht den einen zu weit, den anderen ist sie zu schwammig.
Ebenso wenig sind es die Formulierungen, an denen das Volksbegehren krankt. Da gibt es einige Absätze die überraschend konkret sind, und andere, die noch etwas präzisier werden müssten. Aber grundsätzlich spricht das Papier eine klare Sprache: Das Bildungsangebot muss ausgebaut werden. In alle Richtungen und mit mehr Geld.
Dass ausgerechnet der Industrielle Hannes Androsch die Berufsausbildung vergisst, ist natürlich unverständlich – aber vielleicht hatte er da schon eine Ahnung, wie unterschiedlich die Interessen aller Beteiligten sind, und hat deshalb jene Gruppe außen vor gelassen, die kein Interesse an einer zu starken Konzentration auf die akademische Ausbildung haben: Lehrlinge und Berufsschüler.begehrt Bildung
Aber dieses Problem des Volksbegehrens würde sich bis zur Abstimmung im September wohl ohne Frage korrigieren lassen. Aber das große Manko dieses Begehrens ist ganz offensichtlich, dass es von einem SPÖ-Politiker kommt und damit dem wirren Spiel politischer Ränke ausgesetzt ist. Denn obwohl Beatrix Karl das Thema Studiengebühren auf Eis gelegt hat, weil sie dafür keine Mehrheit bekommt, nimmt sie die fehlenden Studiengebühren als Grund, das Volksbegehren nicht zu unterschrieben. Und auch der »natürliche« Gegner der Ministerin, die Grüne ÖH-Vorsitzende Sigi Maurer, verweigert die Unterstützung.
Nun kann man (leider) noch nicht von einer Revolution sprechen, die ihre Kinder frisst, aber jener Androsch, der anscheinend doch von den Studentenprotesten der letzten beiden Jahre infiziert wurde und nun versucht, auf seine Weise zu einer „besseren Bildung“ beizutragen, jener Hannes Androsch wird stehen gelassen.
Dabei geht es bei diesem Begehren nur um eines: Bekommt Bildung einen grÖßeren Stellenwert in der politischen Debatte und schließlich auch im Budget, oder bleibt alles wie es ist?
Es kann in einem solchen Volksbegehren niemals der grÖßte gemeinsame Nenner geschrieben stehen. Dafür ist das Thema zu komplex und sind die Interessen zu verschieden. Dafür sind die beteiligten Parteien (Schüler, Lehrer, Gewerkschaft, Rektoren, ÖH, SPÖ und ÖVP) zu heterogen, zu weit voneinander entfernt und zu sehr in den täglichen politischen Krieg um Privilegien und Prozente vertieft.
Aber dann kommt einer, und nun will ich weder ein zu heroisches Bild des Herrn Androsch zeichnen, noch ein despektierliches, dann kommt jemand, dem eigentlich „alles wurscht“ sein kann, und hält seinen Schädel hin. Aber statt in seinem Volksbegehren das kleinste gemeinsame Vielfache, den Kerngedanken zu sehen: mehr Geld für Bildung! – stattdessen wird auf den armen Schädel eingedroschen.
Von der Wissenschaftsministerin über die Rektoren bis zu den HÖrsaalbesetzern wurde die Forderung nach mehr Geld unterschrieben, aber jetzt verliert man den Zug zum Ziel und der schwarze Finanzminister PrÖll und der rote Kanzler Faymann haben weiter keinen Grund, sich in diese Debatte einzumischen, in der es anscheinend nichts zu gewinnen gibt.
Und es mag sein, dass Bildung nicht das Thema ist, mit dem man die Massen für sich gewinnt, aber es ist jenes Thema, mit dem man die Massen verliert. Wenn Politiker in zehn Jahren noch immer ihre Formeln herunterbeten, dass Bildung sozialen Aufstieg ermÖgliche und Zukunft sichere, dann ist das schon längst eine Lüge. Dann ist weder die Qualität noch die Durchlässigkeit des Bildungssystems so gut, dass dadurch irgendetwas ermÖglicht würde.
Deshalb, wegen dieses kleinsten gemeinsamen Nenners muss man FÃœR dieses Volksbegehren sein. Denn zuerst muss die politische Relevanz und Anerkennung von Bildung wieder steigen und damit auch die Finanzierung.
Deshalb muss man, auch wenn man für Studiengebühren, gegen die Ganztagsschule und gegen die Gesamtschule ist, dieses Volksbegehren unterschrieben.
So paradox ist das manchmal.