Abschied und Anfang
Es ist an der Zeit, das Loch aus dem Käse zu lassen: Ab kommendem Jahr werde ich in die Schweiz gehen und bei der jungen, kleinen und hippen Agentur Hofrat Suess als “Chef vom Projekt”, Senior Projekt Manager, – jetzt wo ich nicht mehr Journalist bin, ist die Floskel erlaubt – ein neues Leben beginnen. Wie das klingt.
Nach fünf Jahren beim Fazit, nach zahlreichen Qualitätssprüngen und Verbesserungen, ist es natürlich der denkbar blödeste Zeitpunkt, aber wer kann sich sowas schon aussuchen. Zeit. Die ist. Und dann ist sie vorbei. Ich habe zwei Tage nachgedacht, ob ich mich auf diese wundervolle Stellenanzeige bewerben soll, bin direkt nach der Einladung zum Bewerbungsgespräch mit dem Nachtzug nach Zürich, eineinhalb Kaffee mit meinen künftigen Chefs und mit dem nächsten Nachtzug zurück nach Graz, um weiter an der Neunundneunzigsten Fazit-Ausgabe zu arbeiten. Und dann kam ein freundlicher, leicht verrauschter Anruf aus der Schweiz und ich hab schneller ja gesagt, als ich darüber grübeln konnte, was an dieser Entscheidung alles noch dranhängt.
Fazit nach mir
Graz zu verlassen ist, mit dem Gedanken daran, dass es diesmal von Dauer ist, nicht ganz einfach. Ein paar liebgewonnene Freunde, noch mehr liebgewonenne Gewohnheiten: All die Dinge, auf die man sich nach sieben Jahren in Graz verlassen konnte: Den Buchladen, der sympathischer und günstiger ist als Amazon, die Schneiderin, den Wochenmarkt, den Geschmack des Kaffees da und dort. Und den Geruch. Ich mag es, wenn man mich freundlich erkennend grüßt, wenn ich irgendwo bin. Ohne sich erklären zu müssen. Zurückhaltende Übereinkunft darüber, dass alles gut ist und bleiben wird. Bis halt irgendwer das Risiko eingehen muss, etwas anders zu machen.
Man ist ja doch nicht zufrieden. Mit dem Leben. Mit sich. Und erst wenn das Leben an einem Ort wirklich vorbei ist, ahnt man, dass man zwei oder drei Menschen doch sehr lieb gewonnen hat. Und man kann nichtmal mehr Rücksicht darauf nehmen, ob das wen interessiert. Dann bleibt erstmal alles zurück und ich muss sehen, was und wer noch da ist, wenn ich wiederkomme. Aber ein Freund kann nicht gehen. Wer weggeht, ist nie dagewesen. (Ist das von Bert Brecht? ich find online nix?)
Ich hoffe Fazit wird auch nächstes Jahr mit guten und ausführlichen Interviews weitermachen und wachsen. Die hin und wieder besten Leitartikel des Landes sollten aber eigentlich auch reichen, damit das Heft ohne mich überlebt. Ich bin froh, dass ich mit Fazit wachsen konnte, die Chance hatte, von einem doppelseitigen “Übungs”-Interview auf zehn Seiten zu expandieren, die ich in aller Bescheidenheit (und Dank der Mithilfe grandioser Fotografen) für das Beste halte, was es in dieser Form in diesem Land gibt.
Und das sagt schon viel aus. Über dieses Land und seine Medien. So lieb mir dieses Magazin ist, ich sehe und verstehe die Probleme der gesamten Branche, ihre Finanzierungsnöte, ihre Neigung zu Gefälligkeiten – und hab keine Lösung. Ich mag bei diesem aufgehübschten Trauerspiel nur nicht mitmachen. Das ging beim Fazit immer gut. Kein einziges Mal hat unser Anzeigenverkäufer auch nur Andeutungen mir gegenüber gemacht. Ich weiß, welch ein Luxus das ist. Aber selbst interessante Interviewpartner spielen die Spiele, die eben gespielt werden müssen. Und darauf hab ich keine Lust. Es macht mich übellaunig und jeder, der weiß, wie übellaunig ich eh schon bin, der weiß, dass ich da nicht noch übler werden will und werden sollte.
Wenn Journalismus heute Aufmerksamkeit erfahren will, dann gelingt das vor allem, wenn er Menschen, die nicht gemocht werden (Politikern etc.) Sätze entlockt, für die man sie bepöbeln oder auslachen kann. [Und noch schlimmer ist natürlich, dass der grundsätzliche Ärger über viele Entscheidungsträger auch noch berechtigt ist, aber die Empörung und die Begründung, die werden halt von kaum einen Journalisten noch verknüpft.]
Ein positiv informierender Journalismus ist auch weitestgehend überflüssig geworden, weil Informationen überflüssig sind. Weil jeder schon alles weiß, nicht wissen will oder glaubt zu wissen. Wissbegierigkeit ist auf eine kleine leise Gruppe beschränkt, zu leise, um sich wichtig zu nehmen (und damit relevant zu erscheinen), zu klein, um ökonomisch bedeutend zu sein. So, genug. Wir wollen nicht sentimental werden. Ich mache niemandem Vorwürfe. Außer der Welt im Allgemeinen. Aber wie meinte mein letzter Interviewpartner Johannes Silberschneider: Im Alter wird manches leichter.
Es war das für mich beste Gespräch und Interview, das ich in den letzten fünf Jahren geführt habe (trotz eines dummen Fehlers meinerseits). Und ich bin froh, dass es damit vorerst ein Ende hat. Ich muss niemanden mehr interviewen; wenn es sich ergibt, wenn sich die Umstände so fügen, wie ich es für richtig halte, wird es vielleicht ein paar Fortsetzungen geben. Aber solche Gespräche lassen sich nicht in Serie, nicht zehn Mal im Jahr, produzieren.
Schweiz vor mir
Nun wechsle ich also nicht nur die Stadt, sondern auch das Business. Auf diese böse Seite, auf die Seite, wo Geld ist und von vornherein feststeht, was gut und richtig ist. Werbung zu machen ist für mich neu; strategisches Denken ist es nicht und beides wird schon klappen. Hofrat Suess, ja, ich könnte jetzt viele Rosen streuen und Erwartungen an mich und alle anderen schüren. Mach ich aber nicht. Und deshalb wird das hoffentlich nicht der letzte Artikel sein. Jetzt, wo ich kein Portfolio mehr brauche, kann das hier ja wieder ein Blog werden. Mein Job, für alle die es interessiert, besteht künftig in der Social-Media-Betreuung von Hotel/Restaurant Uto Kulm und Uetliberg und darin, den Herren Hofrat und Suess beim Ideen strukturieren zu helfen. Ideen haben sie nämlich viele. Die Beste war hoffentlich, mich in die Schweiz zu holen.
*Grummel**Grummel**Grummel*Schöner und trauriger Text.*Grummel*Viel Erfolg und Glück in der Schweiz.*Grummel**Grummel*Lass von Dir hören…*Grummel**Grummel**Grummel*
[…] Zukunft “Senior Project Manager” bei der Schweizer Agentur Hofrat Suess, hat in seinem Abschieds- und Anfangsbeitrag in seinem Blog die richtigen Worte […]